Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu: Fast jeden Tag ein Todesopfer

Stand: 19.11.2024, 17:21 Uhr

In Deutschland ist die Zahl der gegen Frauen gerichteten Gewalttaten gestiegen. Das hat wohl auch gesellschaftliche Ursachen.

Die Zahl der Straftaten gegen Frauen ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Die Statistik verzeichnet in allen Bereichen einen Anstieg weiblicher Opfer. Das zeigt ein erstmals erstellter Überblick, der am Dienstag vorgestellt wurde.

Für das vom Bundeskriminalamt (BKA) zusammengestellte Bundeslagebild wurden Daten zu Delikten aus folgenden Bereichen gesammelt:

  • Sexualstraftaten
  • häusliche Gewalt
  • Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
  • digitale Gewalt
  • Femizide (Tötungsdelikte an Frauen)
  • Fälle, bei denen frauenfeindliche Vorurteile als Tatmotiv identifiziert wurden

In fast allen betrachteten Bereichen sind auch in den vergangenen fünf Jahren mehr Fälle erfasst worden.

Alle drei Minuten ein Fall häuslicher Gewalt

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | Bildquelle: Moritz Frankenberg/dpa

Die BKA-Zahlen sind erschreckend: "Fast jeden Tag sehen wir einen Femizid in Deutschland", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Lagebildes. "Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt." Jeden Tag seien mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. "Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind."

So stieg etwa die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt laut der Auswertung des Bundeskriminalamts um 5,6 Prozent auf gut 180.000 im vergangenen Jahr. Im Jahr davor waren es noch gut 171.000. Eine Gesamtzahl aller weiblichen Opfer kann das BKA in ihrem Lagebild jedoch nicht angeben - denn viele Taten sind mehreren Fallgruppen zuzuordnen.

Auch in NRW immer wieder Femizide

Ein analoges NRW-Lagebild, das die Zahlen von Nordrhein-Westfalen enthält, liegt derzeit nicht vor. Das teilte das Landeskriminalamt NRW am Dienstag auf Anfrage dem WDR mit. Das BKA-Lagebild resultiere aus einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, deren Ergebnisse nicht länderspezifisch aufgeschlüsselt worden seien.

Trotzdem gibt es auch in NRW immer wieder Fälle, die Schlagzeilen machen, wie Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen. So wurde offenbar Anfang November in Dortmund eine Frau von ihrem Ehemann getötet. Im Oktober stand in Köln ein Mann vor Gericht, der versucht haben soll, seine Ex-Freundin zu töten. Im September ist in Detmold eine Frau tot aufgefunden worden, die von ihrem Ehemann erdrosselt worden sein soll.

Hasskriminalität enorm gestiegen

Bundesweit besonders stark gestiegen sind 2023 die politisch motivierte Hasskriminalität gegen Frauen. Das sind Straftaten, die ausschließlich auf frauenfeindlichem Gedankengut basieren. Das BKA registrierte in diesem Bereich insgesamt 322 Straftaten, das waren 56,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon waren 29 Fälle Gewaltdelikte, meistens Körperverletzungen - fast doppelt so viele wie im Vorjahr (2022: 15).

Diesen Taten kommt dem Lagebild zufolge eine besondere Bedeutung zu, weil sie als Teil der politischen Kriminalität eingestuft werden - darunter Beleidigung (150), Volksverhetzung (46) und Nötigung oder Bedrohung (24). Im Jahr 2022 waren es noch 206 Straftaten dieser Art. BKA-Vizepräsident Kretschmer verwies am Dienstag darauf, dass fast die Hälfte (45 Prozent) aller frauenfeindlichen Delikte, die unter diese Kategorie fallen, dem rechten Spektrum zuzuordnen seien.

Ideologie als Ursache für Gewaltzunahme

Eine Erklärung für den Ursprung der Gewalt an Frauen und den deutlichen Anstieg der einstellungsbezogenen Hasskriminalität liegt laut BKA "in einer Ideologie der Ablehnung von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter". In dieser Weltsicht werde Emanzipation und Gleichberechtigung als Bedrohung traditioneller Rollenbilder und der angeblich natürlichen Ordnung aufgefasst.

Das BKA stellt fest, dass durch die stärkere Verbreitung von Hassbotschaften über die sozialen Medien solche Einstellungen auf die gesellschaftliche Haltung und die Wahrnehmung sozialer Normen einwirke. "Die Fehlwahrnehmung, dass die Ablehnung von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter von der Mehrheit der Gesellschaft geteilt wird, kann die Bereitschaft zu Gewalt gegen Frauen erhöhen."

Gewalthilfe-Gesetz soll Abhilfe schaffen

Um die Situation zu verbessern, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Dienstag, seien Prävention, Strafverfolgung, eine klare Ächtung von Gewalt und ein einfach zugängliches Schutz- und Hilfesystem nötig. Bundesweit gebe es rund 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und mehr als 600 Beratungsstellen. Das Angebot reiche jedoch vielerorts nicht aus.

Deswegen wolle sie kommende Woche ein Gewalthilfe-Gesetz ins Kabinett einbringen. Es sieht unter anderem vor, dass der Bund sich ab 2027 an der Finanzierung von Frauenhäusern beteiligt. Außerdem soll es einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung geben. Paus hofft, dass das Gesetz noch vor der geplanten Neuwahl des Bundestags im Februar beschlossen werden kann.

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