Goldrausch und Olympia-Fieber: Wie uns die Sportevents diesen Sommer neue Zuversicht gegeben haben
Aktuelle Stunde . 11.08.2024. 27:50 Min.. UT. Verfügbar bis 31.12.2024. WDR. Von Alexa Schulz.
Olympia-Obsession: Warum uns diese Spiele so begeistert haben
Stand: 12.08.2024, 13:30 Uhr
16 Tage lang haben die Olympischen Spiele in Paris eine besondere Euphorie bei uns Zuschauenden ausgelöst. Aber warum eigentlich?
Von Annika Witzel
Eine junge Frau schaut mit tränenüberströmtem Gesicht in die Handykamera. Sie schluchzt und sagt (auf Englisch): "Ich darf die olympischen Spiele nicht mehr gucken. Ich heule die ganze Zeit für die Athletinnen und Athleten, weil ich mich so für sie freue. Dabei kenne ich diese Menschen gar nicht!"
So wie der US-Amerikanerin Alyssa, die ihre Gefühle auf TikTok teilt, ging es vielen Menschen während dieser Olympischen Spiele in Paris. Die Spiele haben mitgerissen, sie haben Menschen vor den Fernseher geholt, die sonst mit Sport nicht viel anfangen können.
Emotionale Anteilnahme
"Wir entwickeln eine emotionale Anteilnahme", erklärt Jochem Kotthaus, der zur Soziologie im Sport forscht. Besonders sei dies bei Athletinnen und Athleten gegeben, die die eigene Nation vertreten, oder bei "Underdogs", denen der Sieg eigentlich nicht zugetraut wurde. "Wenn wir unsere eigene Kultur oder sozialen Werte in irgendeiner Form wiedererkennen, dann entwickeln wir Nähe", sagt Kotthaus.
Unser Gehirn liebt Geschichten und speichert diese emotional ab, das belegen auch zahlreiche Studien. Die David-gegen-Goliath-Geschichten. Die Heldenreisen. Die gibt es im Live-Sport, dieser ist unberechenbar. Die Turn-Athletin aus den USA, die ihre mentalen Blockaden bekämpft hat und sich wieder zur Medaille zurückkämpft. Die Kugelstoßerin, die völlig überraschend Gold holt und vor Freude auf dem Podium weint. Der Springreiter, mit dem niemand gerechnet hat und der dann auf dem Treppchen landet. Je emotionaler die Geschichte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns berührt. "Nähe erzeugt einfach Nähe", beschreibt der Soziologe Kotthaus.
Olympische Spiele als Heile-Welt-Blase
Jubel der deutschen Fans beim Basketballspiel
Olympische Spiele können eine perfekte Gelegenheit für Eskapismus sein. Kriege, Konflikte, Anschläge, Terrorismus können hier für viele Stunden ausgeblendet werden. Im Vordergrund steht der sportliche Wettkampf. Und auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) vermarktet die Spiele als Friedensfest.
Hier kämpfen zwar auch Nationen gegeneinander, aber ohne Blutvergießen und ohne Waffen. "Es wird auf eine zivilisierte Art und Weise ein Gewinner ermittelt", so Jochem Kotthaus, "es ist eine Inszenierung davon, wie die Welt im besten Fall sein könnte."
Aber bei diesen Spielen lief nicht alles nur rosarot ab. Die Diskussion um das Geschlecht der Boxerin Imane Khelif beispielsweise warf kurz einen Schatten auf das olympische Geschehen. Trotzdem überwogen die netten Gesten, die begeisterten Kommentatorinnen und Kommentatoren, die jubelnden Familienmitglieder auf den Tribünen.
Sport gucken kann Wohlbefinden steigern
Abgesehen davon wirkt sich Sport schauen auch positiv auf das Wohlbefinden aus, das zeigt eine japanische Studie aus dem Frühjahr. Das Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit kann besonders durch das Sportschauen gestärkt werden. Das Belohnungssystem im Gehirn, so die Forschenden, werde langfristig umstrukturiert, was zu einem größeren Wohlbefinden führen kann.
Medien als Treiber der Emotionalität
Sport und vor allem die Unvorhersehbarkeit eines Live-Sport-Events lassen sich natürlich auch gut in den sozialen Medien vermarkten. Kurze Clips, in denen die emotionalsten Momente noch einmal komprimiert zusammengeschnitten werden, gehen viral und motivieren noch mehr dazu, die Spiele zu verfolgen. Jochem Kotthaus' Einschätzung ist, dass dies "die ersten Olympischen Spiele waren, die das digitale Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft haben."
Olympia-Gefühl überträgt sich über Bildschirme
Soziologe Kotthaus bewertet die Arbeit der Medien bei diesen Olympischen Spielen als sehr gelungen. "Für uns zuhause war das ja eigentlich nur eine Medieninszenierung", sagt er. Das Level von emotionaler Anteilnahme sei bei der Fußball-EM doch noch um einiges höher gewesen, durch Stadionbesuche und außeralltäglichen Erfahrungen. Das sei nur denen vergönnt, die in Paris dabeigewesen waren. Dennoch, so Kotthaus, gab es eine "sehr inklusive, anteilnehmende, gefühlt partizipative Inszenierung, die nicht so aufdringlich war."
Paris als Austragungsort hat aber natürlich auch dazu beigetragen, ein Euphorie-Gefühl bei den Zuschauenden auszulösen. "Paris verbinden wir sowieso mit einer ganz besonderen Kultur", so Kotthaus. Und auch Besuchende vor Ort berichten von fröhlichen und freundlichen Pariserinnen und Parisern, die auch froh schienen, die politischen Probleme des Landes kurzzeitig vergessen zu können.
Auch Medienschaffende erzählten in ihrer Berichterstattung immer wieder davon, dass sie die französischen Gastgeberinnen und Gastgeber als außergewöhnlich freundlich und zugewandt erlebt haben.
Und jetzt?
Lange dauert es nicht, bis das nächste sportliche Highlight ansteht: In gut zwei Wochen, am 28. August, starten die Paralympischen Spiele, ebenfalls in Paris. Auch diese Spiele werden von ARD und ZDF übertragen.
Unsere Quellen:
- Interview mit ARD-Teamchef Gerd Gottlob
- Interview mit Jochem Kotthaus, Soziologe an der FH Dortmund
- Internationales Olympisches Komitee (IOC)
- Waseda University, Japan
- The Journal of Neuroscience