Wer jetzt in der NRW-SPD bei der Chefsuche mitredet

Stand: 31.03.2023, 15:48 Uhr

"Fraktion gut, Partei auch", sagte einst Franz Müntefering. Ähnliches lässt sich über die SPD in NRW nach dem Kutschaty-Rücktritt nicht behaupten. Die Suche nach einer neuen Führung wird kompliziert. Eine Analyse.

Von Martin Teigeler

Die NRW-SPD will nach dem Rücktritt von Thomas Kutschaty vom Landesvorsitz in den nächsten Wochen und Monaten eine neue Führung finden. "Das wird anstrengend, weil viele sich berufen fühlen", sagt ein altgedienter Genosse.

Fest stehen zwei Termine: Am 6. Mai treffen sich in Münster rund 400 Mitglieder aus Landtagsfraktion, Landesvorstand, Kommunen und Bundestag zu einer "Convention", um über die Zukunft der NRW-SPD zu beraten. Am 26. August soll die neue Parteispitze dann auf einem Landesparteitag gewählt werden.

Auf dem Weg wird viel geredet. Es gibt etliche "Player" und Gruppen, die mitmischen:

Die Fraktion

Als Landesvorsitzender zurückgetreten, als Fraktionschef noch im Amt: Thomas Kutschaty | Bildquelle: dpa

Die Entscheidung für den Chefposten der größten Oppositionsfraktion im Landtag wird ein wichtiger Fingerzeig werden, wie es bei der SPD weiter geht. Die 56 Abgeordneten würden "in einigen Wochen" seine Nachfolge regeln, sagte Noch-Fraktionschef Kutschaty am Dienstag.

Gehandelt werden viele Namen: von Lisa Kapteinat (Castrop-Rauxel), Jochen Ott (Köln) und Sarah Philipp (Duisburg) bis Alexander Vogt (Herne). Aus Platzgründen können hier nicht alle Gerüchte aufgezählt werden.

Am Freitagnachmittag beriet die Fraktion in Düsseldorf über das weitere Vorgehen. Anschließend wurde mitgeteilt, dass zumindest Teile der Abgeordneten sich eine Doppelspitze wünschen. Dazu müsste aber zunächst die Geschäftsordnung geändert werden. Offizielle Kandidaturen gibt es weiter nicht. Im Mai soll gewählt werden.

Der Landesvorstand

Landesvize Marc Herter führt die Partei als Interims-Vorsitzender. Der Oberbürgermeister von Hamm gab mit Interview-Aussagen, die SPD solle wieder stärker zum Thema machen, worüber die Menschen "beim Abendbrot" reden, die Richtung vor. Offenbar soll das alte "Kümmerer"-Image von Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wiederbelebt werden. Das Problem dabei: Auch die CDU in NRW gibt sich mit Hendrik Wüst und Karl-Josef Laumann als Kümmerer und Problemlöser.

SPD-Führungskräfte Marc Herter, Veith Lemmen, Svenja Schulze und Achim Post (v.l.n.r.) | Bildquelle: Bernd Thissen/dpa

Wie aus Parteikreisen zu hören ist, steht der Landesvorstand nicht stramm hinter Herter. Von Animositäten und Rivalitäten ist die Rede. Es sei "einiges verhakt", sagt ein Vorstandsmitglied. Überraschende Kandidaturen sind also nicht ausgeschlossen - trotz Herters etwas chefig klingender Ansage, jetzt sei nicht die Zeit, "den Hut in den Ring zu werfen".

Die Basis

Rund 91.000 Mitglieder hat die NRW-SPD aktuell nach Angaben eines Parteisprechers. Dass es eine Mitgliederbefragung zum Vorsitz gibt, gilt jedoch als unwahrscheinlich - schon wegen des knappen Zeitplans bis zum Parteitag im August.

"Das Erstaunliche ist, dass sich viele Mitglieder an der Basis gar nicht so sehr für die Personalien auf Landesebene interessieren", sagt ein Bundestagsabgeordneter aus dem Ruhrgebiet. Die parteiinterne Kampagne gegen Kutschaty sei in den letzten Wochen eher eine Sache bestimmter Funktionäre (und Ex-Funktionäre) gewesen. Jetzt schalten sich Kommunalpolitiker, darunter (Ober)bürgermeister in die Debatte ein. Kandidaturen von Rathauschefs- oder -chefinnen sind ebenfalls möglich.

Die in Berlin

Teile der NRW-Landesgruppe (49 SPD-MdBs kommen aus NRW) im Bundestag sollen sich in den letzten Wochen vernetzt haben, um eine personelle Alternative zu Kutschaty aufzubauen. Bundesentwicklungsministerin und Ex-Landesministerin Svenja Schulze (Münster) wird immer mal wieder genannt als mögliche Spitzenfrau für NRW. Michelle Müntefering (Herne-Bochum) steht regelmäßig in der Zeitung, wenn es um Posten in NRW geht.

Allerdings hat die ziemlich desaströse Amtszeit von Sebastian Hartmann (Rhein-Sieg-Kreis) an der Landesspitze von 2018 bis 2021 gezeigt, dass man den großen Landesverband NRW kaum von Berlin aus führen kann.

Die Jusos

Die Jungsozialisten haben seit Jahren stark an Einfluss in der SPD gewonnen. Einst war der Nachwuchsverband vor allem darauf fokussiert, in SPD-Leitanträgen linkes Gedankengut unterzubringen. Seit einiger Zeit machen die netzwerkenden Jusos viel gezielter und cleverer als früher Personal- und Karrierepolitik in der Partei.

Nach dem Vorbild ihres Ex-Bundeschefs Kevin Kühnert sind viele Jusos mittlerweile Abgeordnete. Wer es nicht selbst ist, arbeitet oft zumindest für Abgeordnete. Mit der Unterstützung der Jusos (die sich untereinander nicht immer grün sind) verfügt man über gute Karten im Machtpoker der SPD. Juso-Landeschefin Nina Gaedike sagt: "Wir reden jetzt nicht über Posten, sondern über Inhalte. Wir Jusos sind eines der Kraftzentren der NRW-SPD und deshalb selbstbewusst genug, dass wir die Ausrichtung der Partei weiter mitbestimmen werden."

Die "Strippenzieher"

Viel ist den letzten Tagen darüber spekuliert worden, welche Personen und Netzwerke mit Intrigen und Bündnissen Kutschatys Rückzug den Boden bereitet haben. Dass viele Kutschaty-Kritiker aus der Region SPD-Region Westliches Westfalen kommen, ist kein Geheimnis. Logisch wäre also, wenn aus "WW" jetzt eine Kandidatur für den Vorsitz kommt.

Ex-Kutschaty-Kontrahent Herter (2018 war er ihm in einer Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz unterlegen) gilt als Favorit. Zudem ist Herter Vorsitzender der Region Westliches Westfalen. Aber auch andere Regionsvorsitzende wie Mittelrhein-Chef Jochen Ott reden ein Wörtchen mit beim Personaltableau.

Fazit

Es ist eine komplexe Situation für die SPD - gerade wegen der Vielzahl der Akteure. Hoffnung könnte der Partei ein Blick in die eigene Geschichte machen. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles 2019 stand die Bundes-SPD zunächst ähnlich kopf- und ratlos da wie die NRW-SPD heute.

Doch aus NRW kam damals die Kandidatur von Ex-Finanzminister Norbert Walter-Borjans für den Vorsitz. Gemeinsam mit Saskia Esken stabilisierte "Nowabo" die Partei und führte sie mit Olaf Scholz 2021 zu einem Wahlerfolg. "Ich glaube wirklich, dass was Gutes aus der jetzigen Lage wird", sagt ein Landesvorstand.