Anhörung zu Asylverfahren: Wie kann NRW sie vor Gericht beschleunigen?

Stand: 17.09.2024, 06:03 Uhr

Kann Rheinland-Pfalz ein Vorbild für NRW sein, um Asylverfahren vor Gericht zu beschleunigen? Eine Anhörung soll Klarheit bringen.

Von Sabine Tenta

In Rheinland-Pfalz hat es funktioniert: Die Dauer der Gerichtsverfahren zu Asylfragen wurde mit einer Zentralisierung aller Fälle in Trier deutlich gesenkt. Kann das ein Vorbild für NRW sein? Das steckt im Kern hinter dem Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel: "Asylgerichtsverfahren dauern in Nordrhein-Westfalen viel zu lange. Justizminister Limbach muss endlich die organisatorischen Voraussetzungen für deutlich kürzere Verfahrensdauern schaffen!"

Am Dienstag findet im Rechtsausschuss eine Anhörung von Sachverständigen statt. Die vorab veröffentlichten Stellungnahmen der Expertinnen und Experten zeigen bereits, dass sich das Modell aus Rheinland-Pfalz nicht ohne Weiteres auf NRW übertragen lässt.

Die Ausgangslage

Im November 2023 hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, Asylverfahren in Deutschland deutlich zu beschleunigen. Für Angehörige aus Herkunftsstaaten mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent soll bereits in drei Monaten klar sein, ob sie Asyl erhalten. In allen anderen Fällen soll diese Klarheit nach sechs Monaten bestehen. Das umfasst die Asylverfahren und eventuelle Klagen gegen einen negativen Asylbescheid.

Ende Mai kündigte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) an, dass für bestimmte Herkunftsländer die Asylgerichtsverfahren zentral gebündelt werden. Eine entsprechende Verordnung trat Anfang August in Kraft. Zudem kündigte die Landesregierung letzte Woche eine weitere personelle Stärkung der Verwaltungsgerichte an. Im Maßnahmen-Paket zu Migration, Sicherheit und Prävention ist unter anderem vorgesehen, drei weitere Asylkammern in NRW einzurichten.

Laut "Verein für Kommunalpolitik NRW e.V." (VfK) betrug 2023 die durchschnittliche Verfahrensdauer in NRW 21,5 Monate. Den Negativrekord halte das Verwaltungsgericht Köln mit 27,7 Monaten. Die Klagequote gegen ablehnende Asylbescheide betrage in NRW 58,8 Prozent.

Im Verlauf der letzten Jahre ist die Dauer der Asylgerichtsverfahren in NRW bereits gesunken. Das Verwaltungsgericht Münster beispielsweise hatte 2021 im Schnitt eine Verfahrensdauer von 23,3 Monaten, 2022 von 17,4 Monaten und 2023 von 16,7 Monaten.

So regelt Rheinland-Pfalz das Asylgerichtsverfahren

Stefan Jacobs, Richter am Oberverwaltungsgericht in Koblenz, schildert in seiner Stellungnahme die Lage in seinem Bundesland Rheinland-Pfalz: Dort ist für alle erstinstanzlichen Asylverfahren zentral das Verwaltungsgericht Trier zuständig - und das bereits seit 2010.

Damals war nicht die hohe, sondern die geringe Zahl der Verfahren der Anlass, die Verfahren zu bündeln. Trier wurde ausgewählt, weil dort in der Vergangenheit die meisten Verfahren eingegangen waren. Zudem, so Jacobs, befänden sich in unmittelbarer Nähe drei zentrale Aufnahmeeinrichtungen des Landes.

Zentralisierung bei Asylverfahren

Auch beim Oberverwaltungsgericht in Koblenz gebe es eine Bündelung: Ein Senat befasse sich ausschließlich mit Asylverfahren. Laut Stefan Jacobs konnten durch die Zentralisierung "erhebliche und entscheidende Synergieeffekte" erzielt werden. Richterinnen und Richter hätten eine hohe Expertise "im Asylrecht im Allgemeinen und in Bezug auf einzelne Herkunftsländer im Besonderen". Zudem gebe es nun eine Vereinheitlichung der Rechtssprechung.

Die Personalausstattung der Gerichte werde der jeweiligen Lage angepasst. Dabei gebe es eine vorausschauende Planung in enger Abstimmung mit dem Justizministerium. Gebe es mehr Asylanträge beim BAMF, werde bei den Gerichten das Personal aufgestockt.

2023 seien asylrechtliche Hauptverfahren in Trier durchschnittlich innerhalb von 3,9 Monaten entschieden worden. Verfahren von Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten seien in 2,2 Monaten erledigt worden. Beim OVG Rheinland-Pfalz dauerten Berufungsverfahren im Schnitt 6,8 Monate.

Entscheidender Faktor ist das Personal

Folgt man der Argumentation der Stellungnahmen, dann scheint der entscheidende Schlüssel für eine Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren der Personalschlüssel an den Verwaltungsgerichten zu sein. So merkt der "Verein für Kommunalpolitik NRW e.V." an: Grund für die lange Dauer in NRW seien ein "chronischer Richtermangel" sowie eine "ineffiziente Organisationsstruktur der Verwaltungsgerichtsbarkeit". Es sei schwer für die Richter, spezifische Sachkenntnisse aufzubauen.

Auch Nadeschka Wilkitzki von der "Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter NRW" ist sich sicher, dass die Erfolge aus Rheinland-Pfalz "ganz wesentlich auf die erhebliche Personalaufstockung gründen". Niedersachsen gehe ebenfalls mit gutem Beispiel voran und habe 15 neue Stellen geschaffen. Auf NRW übertragen, müsse es 35 neue, zusätzliche Stellen geben. Stattdessen jedoch drohe in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in NRW ein Stellenabbau.

Erhöhter Reiseaufwand bei Zentralisierung

Jochen Heide, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, gibt zu bedenken, dass die Terminfindung durch den Reiseaufwand bei den Prozessvertretern und Asylsuchenden erschwert wird. Auch der Flüchtlingsrat NRW weist auf diese Problematik hin. Damit seien die in der Mehrheit mittellosen Asylsuchenden gezwungen, weite Wege auf sich zu nehmen, die nicht durch die Prozesskostenhilfe abgedeckt seien. Würden Gerichte auf die mitunter langen Anfahrtswege der Prozessbeteiligten Rücksicht nehmen, sei fraglich, ob dies zu einer Beschleunigung der Verfahren führe.

Rheinland-Pfalz hat deutlich weniger Verfahren

Die Lage in Rheinland-Pfalz lässt sich nach Auffassung des Flüchtlingsrats auch deshalb nicht mit NRW vergleichen, weil es dort viel weniger Fälle gebe. Ende März habe es in NRW 26.7356 anhängige Asylklageverfahren gegeben, in Rheinland-Pfalz hingegen nur 2.118.

Warnung, dass andere Verfahren leiden könnten

Fachanwalt Jochen Heide sieht die Gefahr, dass alle anderen Gerichtsverfahren unter einer Priorisierung von Asylverfahren leiden könnten. Bereits jetzt liege die Verfahrensdauer zwischen 18 und 24 Monaten: "Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz muss auch für die rechtssuchenden Bürger erreichbar bleiben", mahnt Heide.

Auch Nadeschka Wilkitzki von der "Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter NRW" sieht diese Gefahr: "Jede etwaige Beschleunigung der Asylverfahren ginge ohne Personalaufstockung zulasten der Verfahren in anderen Rechtsgebieten." Und die "Neue Richtervereinigung", ein Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, warnt eindringlich vor "einer verzögerten Bearbeitung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren außerhalb des Asylrechts".

Die Unabhängigkeit der Gerichte

Die "Neue Richtervereinigung" betont in ihrer Stellungnahme auch die Unabhängigkeit der Gerichte. Es dürfe keine Zeitvorgaben für gerichtliche Entscheidungen geben, "weil die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist". Die Rechtssprechung kenne auch keine Differenzierung der Verfahrensdauer "nur aufgrund einer prozentualen Schutzquote" des Herkunftslandes: Eine geringe Anerkennungsquote sage nichts über den Einzelfall aus.