Mordermittlungen: Die Wunderhunde aus Ratingen

Stand: 15.09.2024, 18:00 Uhr

Hunde, die Gerüchen von Tatverdächtigen noch Jahre später folgen können? Experten halten das für Quatsch. Doch Staatsanwaltschaften in NRW setzen regelmäßig auf die angeblichen "Wunderhunde".

Von Nadja Malak und Cedrik Pelka

2013 geschieht in Hamm ein Mord. Ein Mann wird in einer Tennishalle mit einem Schuss in den Kopf getötet. Bei den Ermittlungen kommt später ein besonderer Spürhund zum Einsatz, ein Mantrailer-Hund. Er soll bei der Suche nach dem Täter helfen.

Das Besondere: Der Hund ist kein Polizeihund. Er gehört einer privaten Hundeführerin aus Ratingen, Andrea von Buddenbrock. Und er soll ganz besondere Fähigkeiten haben, die Polizei-Hunde nicht haben. Im Fall des Mordes in Hamm nimmt der Hund angeblich den Geruch des Täters vom Projektil auf, das im Schädel der Leiche steckt, und kann diesem Geruch folgen. So soll der Hund zur Ermittlung des Täters beigetragen haben.

Umweltchemiker: "Absolut unmöglich"

Prof. Kai-Uwe Goss, Umweltchemiker am Helmholtzzentrum Leipzig | Bildquelle: WDR

„Absolut unmöglich“, sagt dazu der Umweltchemiker Prof. Kai-Uwe Goss vom Helmholtz-Zentrum in Leipzig: „Ein Projektil wird beim Abschluss mehr als 900 Grad heiß. Das ist die Temperatur, die in Sondermüll-Verbrennungsanlagen benutzt wird, um jeden organischen Bestandteil restlos zu zerstören.“ Gerüche könnte solche Temperaturen schlicht nicht überdauern.

Doch von Buddenbrocks Mantrailer-Hunde können angeblich noch mehr. In der Fachzeitschrift „Der Kriminalist“ schreibt sie, dass sie in einem Mordfall nach 47 Jahren noch den Geruch eines Menschen aufgenommen haben wollen: „Sie (…) erstellen ein Bewegungsbild, das einem seit Jahren Tatverdächtigen zuzuordnen ist.“

Polizei hält Einsatz nach mehr als 36 Stunden für unseriös

Hundeausbildung in der Polizeischule Schloss Holte-Stukenbrock | Bildquelle: WDR

Auch die Polizei in NRW bildet eigene Mantrailer-Hunde aus, in der Hundeschule in Schloss-Holte Stukenbrock. Doch diese Hunde werden bei Strafermittlungen nur eingesetzt, wenn die Spuren nicht zu alt sind. Der Leiter der Hundeschule, Martin Stroop, erklärt, dass das alles betrifft, was älter als 36 Stunden ist: „Wir leisten seriöse Arbeit. Alles, was darüber hinausgeht, ist wissenschaftlich für uns nicht nachvollziehbar.“

Das deckt sich auch mit dem Stand der Forschung, sagt Umweltchemiker Goss. Der Geruch von Menschen hänge an Mikroorganismen, die auf Hautschuppen sitzen. Auf abgefallenen Hautschuppe könne sich ein Geruch gar nicht mehr lange halten, vor allem auf einer asphaltierten Straße nicht. „Dann kommt noch Sonne dazu, so dass die Mikroorganismen nach ein paar Stunden aufgehört haben, noch irgendwelche Aktivitäten zu zeigen“, erklärt Goss.

Jede Staatsanwaltschaft entscheidet selbst über Ermittlungsmethoden

Die private Hundeführerin Andrea von Buddenbrock lässt Fragen dazu von einem Anwalt beantworten. Er teilt mit, dass ihre Methode nicht im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehe. Vielmehr sei die Studienlage offen.

Andrea von Buddenbrock beschreibt in einer MDR-Dokumentation ihre Arbeit mit Mantrailer-Hunden | Bildquelle: "Kripo live - Tätern auf der Spur", MDR 01.09.2021

Obwohl ihre Methode so umstritten ist, wird von Buddenbrock mit ihren Hunden regelmäßig von mehreren Staatsanwaltschaften gebucht, als Ermittlungshilfe. Und das obwohl das NRW-Innenministerium verfügt hat, dass bei Strafermittlungen nur Polizeihunde zum Einsatz kommen sollen. Das Justizministerium betont allerdings, dass jede einzelne Staatsanwaltschaft frei bestimmen kann, welche Ermittlungsansätze sie für richtig hält.

Landgericht Dortmund: "Ergebnisse unergiebig"

Offenbar liefern die Hunde Ergebnisse, die von den Strafermittlern bei komplizierten Kapitaldelikten als brauchbar eingestuft werden. So z.B. im Mordfall „Carina“, als 2022 die verbrannte Leiche einer 17-Jährigen in Iserlohn gefunden worden war. Wochen später verfolgten die Hunde laut Bildzeitung den Geruch des Täters bis zu dessen Zelle im Gefängnis. Er saß nämlich bereits in Untersuchungshaft. Ein Ermittler sagte damals: „Es ist unfassbar, was der Hund mit seiner Nase erarbeiten kann.“

Mantrailer-Hund im Einsatz | Bildquelle: "Mensch Leute! Die Kommissarin", SWR 11.04.2016

Die Staatsanwaltschaft Dortmund teilt dazu mit, die Hunde seien zu „einem überzeugenden Ermittlungsergebnis gekommen“. Das Landgericht Dortmund dagegen hat das Ergebnis der Hundesuche gar nicht berücksichtigt. Die Ermittlungsergebnisse seien im Prozess gar nicht eingeführt worden, „weil sie von der Kammer als unergiebig bewertet worden sind“.

Mordfall in Essen: Geruchsprobe von der Rippe

Von Buddenbrocks Anwalt schreibt dazu, die Ergebnisse der Mantrailer-Einsätze seien „keine Beweise im strafprozessualen Sinne“, sie erstelle lediglich Bewegungsbilder. Sie arbeite nach Methoden, die auch das FBI in den USA anwende.

So angeblich auch in einem Mordfall aus Essen im Jahr 2021. Ein Mann wurde erstochen und lag mehrere Wochen in seiner Wohnung. Dem WDR-Magazin Westpol liegen dazu Unterlagen der Einsätze vor, die Andrea von Buddenbrock im Auftrag der Staatsanwaltschaft absolviert hat.

Eine Geruchsprobe für die Hunde wurde damals von einer Rippe der Leiche genommen, die mit einem Messer durchtrennt worden war. Eine Tatwaffe gab es nicht. Die Hunde liefen nach dem Schnüffeln zunächst zum Haus des Opfers. Dort sollen sie dann angeblich auf den „Sekundärgeruch“ des Täters umgestellt haben und diesem gefolgt sein. Wie die Hunde ihrer Hundeführerin so einen angeblichen Wechsel des Geruchs anzeigen, dazu antwortet von Buddenbrock nicht.

"Für Ermittlungsbehörden sehr bequem"

„Ich als Wissenschaftler tue mich natürlich schwer. Es macht überhaupt keinen Sinn, dort eine Geruchsprobe zu nehmen“, sagt dazu der Umweltchemiker Prof. Goss zu dem Fall. Er kann nicht verstehen, wie Ermittler offenbar unreflektiert als bare Münze nehmen. „Ich sehe nur, dass das für die Ermittlungsbehörden natürlich immer sehr, sehr bequem ist, Frau Buddenbrook einzusetzen. Aber das ist nicht unbedingt die Wahrheit, und das darf eigentlich so nicht passieren.“

Zu was das führen kann, zeigt ein spektakulärer Kriminalfall in Baden-Württemberg, der „Paketbomber“-Fall. 2021 wurde vom Landgericht Heidelberg ein Rentner freigesprochen, der beschuldigt wurde, Paketbomben an Firmen verschickt zu haben, um sie zu erpressen. Auch hier kamen die Hunde von Andrea von Buddenbrock zum Einsatz.

Gutachter: "Eindeutige Beeinflussungen"

Hans-Jörg Schalkowski, ehem. Polizeihundeausbilder und Gutachter | Bildquelle: WDR

Damals allerdings wurde ihre Arbeit genau unter die Lupe genommen, von Hans Jörg Schalkowski, mehr als 30 Jahre in Baden-Württemberg Polizeihundeführer und Ausbilder. Er hat im Auftrag des Gerichts zwölf Stunden Videomaterial der Mantrailer-Suche ausgewertet. Sein Urteil ist vernichtend: „Ich habe in den Videoaufnahmen sehr eindeutige Beeinflussungen gesehen, die sofort ins Auge fallen.“

Auf dem Video sieht man, wie von Buddenbrock ihren Hund an einem kleinen Röhrchen riechen lässt, der Geruch des Tatverdächtigen, der hier 31 Tage davor unterwegs gewesen sein soll. Es geht über eine gesperrte Autobahn. Von Buddenbrock läuft später fast neben dem Hund. Ein kurzer Ruck an der Leine. Nun folgt er der Laufrichtung seiner Hundeführerin.

Mantrailer-Einsätze kosten oft tausende Euro

Einige Meter nach der Abfahrt bleibt von Buddenbrock stehen und belohnt ihren Hund. „Dies soll die Bestätigung sein, dass der Verdächtige weiter auf der Autobahn gefahren ist“, erklärt Hans-Jörg Schalkowski. Er bezweifelt, dass von Buddenbrocks Hund überhaupt eine Spur gerochen hat.

Von Buddenbrocks Anwalt schreibt dazu, die Analyse des früheren Polizisten Schalkowski sei „unbrauchbar“. Er habe seine Vorwürfe nicht schlüssig dargelegt. Das Landgericht Heidelberg folgte seiner Analyse allerdings uneingeschränkt. Und ließ den Angeklagten Rentner kurz danach aus der Untersuchungshaft frei. Dort hatte der bereits acht Monate gesessen.

Die Kosten der privaten Mantrailer-Suchen können beträchtlich sein. In einem Fall der Staatsanwaltschaft Bochum etwa hat der Einsatz knapp 4800 Euro gekostet. In einem anderen Fall aus Sachsen-Anhalt hat Andrea von Buddenbrock für 12 Einsatztage nach WDR-Informationen sogar mehr als 20.000 Euro in Rechnung gestellt. Für eine Methode, die Wissenschaftler auch als „kriminologische Esoterik“ bezeichnen.