Am Donnerstag sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz dafür aus, künftig straffällige Asylbewerber auch in Länder wie Afghanistan oder Syrien abzuschieben - Staaten, die eigentlich als unsichere Herkunftsländer gelten. Für Abschiebungen in diese und andere Länder gibt es nicht nur rechtliche, sondern auch praktische Hürden. Das thematisiert auch die neue ARD-Doku "Deutschland am Limit?".
Doch wie läuft das eigentlich in Nordrhein-Westfalen? Die gängigsten Fragen und Antworten inklusive Zahlen und Fakten:
Wer muss das Land verlassen?
Als "ausreisepflichtig" gelten nicht nur abgelehnte Asylbewerber, sondern auch Arbeitnehmer, Studierende oder Touristen, deren Visum abgelaufen ist. Wird in einem Asylverfahren der Schutzstatus eines nach Deutschland gekommenen Menschens abgelehnt, bekommt er von den Behörden eine schriftliche Aufforderung, das Land innerhalb von 7 bis 30 Tagen zu verlassen.
Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, wird - notfalls mit Gewalt - durch die Bundespolizei per Flugzeug zurück in sein Heimatland gebracht, die sogenannte Abschiebung.
Andere werden in den europäischen Mitgliedsstaat überstellt, in dem sie nachweislich erstmals europäischen Boden betreten haben, damit das Asylverfahren dort durchgeführt wird. Allerdings weigern sich Länder wie Italien oder Griechenland seit geraumer Zeit, Geflüchtete gemäß des Dublin-Abkommens aufzunehmen.
Ende Oktober 2023 gab es bundesweit rund 250.000 Ausreisepflichtige. 60.000 Personen waren es in Nordrhein-Westfalen, darunter 6.800 Irakerinnern und Iraker, 4.100 Serbinnen und Serben, 3.100 Menschen aus Nordmazedonien, 2.900 aus Guinea und 2.700 aus Nigeria.
Warum werden nicht alle Ausreisepflichtigen abgeschoben?
Das geht nicht einfach so. Rund 85 Prozent dieser Menschen haben nämlich eine "Duldung" ausgesprochen bekommen, ihre Abschiebung ist für einen gewissen Zeitraum ausgesetzt. Sie wurden zwar aufgefordert, das Land zu verlassen, können aber aus den unterschiedlichsten rechtlichen und persönlichen Gründen nicht dazu gezwungen werden.
Meist sind sie für 18 bis 30 Monate in Deutschland "geduldet". Liegt ein entsprechender Grund vor, kann diese Duldung auch verlängert werden.
Wer darf abgeschoben werden?
Nur knapp 10.000 Menschen haben sich im Herbst 2023 in NRW aufgehalten, die keine Duldung hatten und auch wirklich das Land verlassen mussten. Nur bei ihnen ist eine Abschiebung möglich.
Im Bundesvergleich zeigt sich, dass sich in NRW aber verhältnismäßig wenige dieser Menschen aufhalten. Gerade in den Stadtstaaten, aber auch in Brandenburg oder Sachsen, Bayern oder Hessen gibt es im Verhältnis zu den dortigen Einwohnern mehr Menschen, die eigentlich außer Landes gebracht werden müssten.
Wie viele Abschiebungen aus NRW gibt es?
Wie auch bundesweit ist die Zahl der Abschiebungen in NRW im zu Beginn der Corona-Pandemie stark zurückgegangen - von 22.000 in 2019 auf 10.800 in 2020. Seitdem steigt die Zahl jährlich wieder leicht an.
In den vergangenen fünf Jahren (2019 bis 2023) war jede vierte Abschiebung in Deutschland aus Nordrhein-Westfalen.
Wie viele Abschiebungen scheitern und warum?
Mehr als jede zweite Abschiebung aus NRW findet nicht statt. So wurden 3.663 Menschen im Jahr 2023 aus dem Land gebracht, 3.967 Abschiebungen aber nicht durchgeführt. Das kann ganz verschiedene Gründe haben.
Bundesweit scheiterten nur rund sechs Prozent während der Abschiebung durch die Bundespolizei selbst, etwa aufgrund von Widerstand oder medizinischen Notfällen. Meistens werden Abschiebungen aber von den Behörden abgebrochen, zum Beispiel weil eine Duldung ausgesprochen wird.
Welche Gründe gibt es für eine Duldung?
Eine befristete Duldung kann aus vielen verschiedenen rechtlichen und persönlichen Gründen ausgesprochen werden. Jede dritte Duldung allerdings müssen die Behörden wegen fehlender Reisedokumente oder unklarer Identität erteilen - das gebietet internationales Recht. Die Passbeschaffung kann sich häufig lange hinziehen.
Aber auch humanitäre oder persönliche Gründe können für eine Duldung sorgen. Dazu zählen etwa der bevorstehende Abschluss an einer Schule oder die Betreuung kranker Familienmitglieder.
Auch ein Abschiebungsverbot kann ausgesprochen werden, weil Verfolgung und Folter im Heimatland drohen. Andere werden aus medizinischen Gründen geduldet, weil sie eine Arbeit bzw. Ausbildung gefunden haben oder weil sie unbegleitete Minderjährige sind.
Seit 2023 gibt es für Geduldete, die mehr als fünf Jahre in Deutschland leben, über das Chancen-Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erlangen - wenn sie in einer Probezeit nachweisen, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen und ein gewisses deutsches Sprachniveau erlangt haben. Mehr als 60.000 Personen haben seitdem einen Aufenthaltstitel nach dem Chancen-Aufenthaltsgesetz erlangt.
Wer muss vor der Abschiebung ins Gefängnis und warum?
Unter bestimmten Umständen können Gerichte eine Abschiebungshaft für ausreispflichtige Personen anordnen. Das gilt etwa, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr vermutet wird - zum Beipsiel weil die Person in der Vergangenheit die Ausländerbehörde über ihre Identität getäuscht hat. Oder aber, wenn sie straffällig geworden ist und von ihr eine Gefahr für andere ausgeht.
Die Abschiebungshaft kann bis zu 18 Monate andauern. 2020 waren etwa die Hälfte aller Betroffenen in NRW zwischen zwei und sechs Wochen inhaftiert. Etwa 40 Prozent verbrachten sogar weniger als zwei Wochen hinter Gittern. In NRW gibt es dafür ein eigenes Gefängnis in Büren mit 175 Haftplätze für Männer.
Wie viele ausreisepflichtige Menschen werden hier eingesperrt?
Rund 6.500 Personen befanden sich in den fünf Jahren zwischen 2019 und 2023 in der Haftanstalt in Büren. Rund 5.000 von ihnen wurden abgeschoben - also etwa 78 Prozent.
Das sind anteilig sehr viel mehr Menschen als in anderen Bundesländern. In Niedersachsen wurde 2020 etwa nur jede zweite, in Sachsen nur jede fünfte inhaftierte Person auch tatsächlich abgeschoben.
Gibt es auch Menschen, die selbst ausreisen?
Ja, jedes Jahr gibt es eine Vielzahl sogenannter freiwilliger Ausreisen. Der Begriff ist allerdings etwas irreführend: Immerhin wurden diese Menschen durch deutsche Behörden zur Ausreise aufgefordert.
Rund 30.000 ausreisepflichte Personen haben im Jahr 2023 die Bundesrepublik selbst verlassen.
Unsere Quellen:
- Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration NRW (MKJFGFI)
- Bundestagsanfragen der Parteien Die Linke & AfD
- Mediendienst Integration