Streit ums Bürgergeld: CDU fürchtet zu viel Komfort für Arbeitslose

Stand: 31.10.2022, 15:05 Uhr

Im Streit um das geplante Bürgergeld hat sich NRW-Ministerpräsident Wüst noch einmal positioniert: Die Hilfe dürfe nicht "auf Kosten derer gehen, die fleißig arbeiten", sagte er. Soziale Beratungsstellen sind empört.

Von Nina Magoley

Bislang ist der Plan, dass das sogenannte Bürgergeld ab 1. Januar 2023 die bisherige Grundsicherung Hartz IV ersetzen soll. Verbunden damit sind nach bisherigen Vorstellungen der Bundesregierung höhere Regelsätze - 502 Euro im Monat statt wie bisher 449 Euro - und weniger Sanktionen als bisher.

Außerdem sind deutlich höhere Schonvermögen geplant. Das heißt: Eine Familie mit vier Kindern könnte dann beispielsweise bis zu 150.000 Euro Vermögen besitzen, dass in den ersten zwei Jahren der Arbeitslosigkeit nicht angetastet würde.

Die CDU in der Regierungsopposition ist überhaupt nicht einverstanden mit diesen Plänen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, er erwartet durch das Bürgergeld soziale Verwerfungen bei Menschen in unteren Einkommensgruppen. Es sei ungerecht, dass etwa Kassiererinnen, Busfahrer, Polizistinnen und Friseure am Ende weniger Geld zur Verfügung hätten, wenn sie arbeiten, als wenn sie nicht arbeiten.

Wüst: "Ein Stück weit anstrengen"

Die unionsgeführten Bundesländer, darunter auch NRW, haben angedroht, die Reform im Bundesrat zu blockieren. Das Bürgergeld setze falsche Anreize, meint NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagte Wüst am Sonntagabend, es sei nicht gerecht, dass "Menschen auf Kosten derer, die fleißig arbeiten gehen, ziemlich lange nicht mitwirken müssen, ein ziemlich hohes Schonvermögen haben". Es habe sich bewährt, "wenn Menschen sich ein Stück weit anstrengen müssen, wenn sie Sozialleistungen bekommen".

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NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte zuvor erklärt, warum ihm die geplanten Schonvermögen zu weit gehen: Wenn Bürgergeld-Empfänger künftig zwei Jahre lang pro Person 60.000 Euro auf dem Konto haben dürften, seien das "Summen auf dem Sparkonto, die für viele arbeitende Menschen gar nicht vorstellbar sind". Und die würden sich dann fragen, warum sie Steuern dafür zahlen müssten, "dass solche Vermögen dann geschützt sind".

Ohne Zustimmung der CDU-Länder geht es nicht

Ignorieren kann die Berliner Ampel-Koalition diese Haltung nicht: Für einen Beschluss zum Bürgergeld braucht es die mehrheitliche Zustimmung des Bundesrats - und dort dominieren die von CDU/CSU geführten Bundesländer.

SPD-Bundeschefin Saskia Esken, die das Bürgergeld bislang immer verteidigt hat, signalisiert daher mittlerweile Kompromissbereitschaft: "Wenn die unionsgeführten Bundesländer beim Bürgergeld Detailfragen klären wollen, sind wir dazu bereit", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe von Montag. Nicht verhandelbar sei allerdings, dass es bei der Einführung des Bürgergelds "in erster Linie um Respekt" gehe.

Kutschaty: Selten "dicke Sparbücher"

Was darunter zu verstehen sei, führte der nordrhein-westfälische SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty am Montag dem WDR gegenüber aus: Es sei wichtig, den Betroffenen "auch die Würde wieder zurückgeben".

Thomas Kutschaty

Thomas Kutschaty: "Mach was für Dein Alter"

Wer jahrelang gearbeitet hat, müsse "besser gestellt werden als jemand, der nie gearbeitet hat". Bürgergeld-Empfänger dürften nicht gezwungen sein, nach kurzer Arbeitslosigkeit bereits ihre ganzen Ersparnisse aufzubrauchen. Zumal "wenn wir den Leuten immer sagen: Mach was für Dein Alter." Und er könne die Union beruhigen: "Die wenigsten Arbeitslosen haben dicke Sparbücher."

Zu der Frage, ob sich prekäre Arbeit noch lohne, wenn der finanzielle Abstand zum Bürgergeld kaum noch wahrnehmbar sei, sagte Kutschaty: "Viele Menschen werden für ihre Arbeit zu schlecht bezahlt. Aber die Lösung kann doch nicht sein, dass diejenigen, die noch weiter drunter sind in den Einkünften, noch schlechter behandelt werden, damit irgendein Abstand gewahrt ist."

Leise Kritik vom Koalitionspartner

Auch aus den Reihen des grünen Koaltionspartners in NRW stellte man sich hinter das Bürgergeld. Landesvorsitzender Tim Achtermeyer sprach am Montag von "Respekt": Das Bürgergeld ermögliche Millionen von Menschen "Teilhabe und eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe", erklärte er via Twitter.

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Nach Angaben der Landesregierung bezogen im Mai dieses Jahres knapp 1,5 Millionen Menschen in NRW Hartz IV - acht Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes.

"Menschen wollen arbeiten"

Stempel mit den Aufdrucken Bürgergeld und Hartz IV hängen vor einer Deutschlandfahne

Bürgergeld vs. Hatz IV

In der katholischen Kirchengemeinde Köln-Höhenberg suchen seit Jahrzehnten Arbeitslose Rat und Unterstützung. Aus ihrer Sicht gehe die Kritik Wüsts völlig an der Realität vorbei, sagt Gemeindereferentin Marianne Arndt. "Mindestens 80 Prozent der Menschen, die wir hier sehen, wollen arbeiten", so ihre Erfahrung, "denn die meisten Menschen fühlen sich wertvoller, wenn sie einer Arbeit nachgehen". Arbeitslos zu sein und von Hartz IV zu leben bedeute "einen immensen psychischen Druck", den die wenigsten freiwillig auf sich nähmen.

Arndt sieht in ihrer Gemeinde vor allem viele Aufstocker - "Familienväter zum Beispiel, die hart arbeiten und trotzdem nicht über die Runden kommen ohne zusätzliches Geld vom Amt". Aber auch hier sei die Zahl derjenigen, die mit Blick auf das geplante Bürgergeld überlegen würden, nicht mehr zu arbeiten, bei höchstens zehn Prozent, schätzt sie.

Trotz Bürgergeld blickten viele mit Angst in die Zukunft - angesichts der hohen Energie- und Lebensmittelpreise: "Der Druck steigt enorm", viele seien resigniert und deprimiert. Von Wüsts Aussagen ist die Gemeindereferentin schockiert: "Das hat mit Christlichkeit nichts mehr zu tun", meint sie.

"Keiner hat mit der CDU verhandelt"

Der Bochumer CDU-Abgeordnete im Europaparlament, Dennis Radtke, lieferte am Montag auf Twitter eine weitere, quasi psychologische Erklärung der CDU-Blockade beim Bürgergeld: "Die notwendige Erhöhung der Regelsätze wird von CDU überhaupt nicht in Frage gestellt", schreibt Radtke. "Fakt ist: über diese fundamentalen Änderungen im System hat mit der CDU niemand verhandelt."

Auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Mittwoch soll weiter über das Thema diskutiert werden.