Protest in Unterwäsche: Studentin im Iran festgenommen | sv
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Protest in Unterwäsche: Studentin im Iran festgenommen
Stand: 03.11.2024, 13:05 Uhr
Aus Protest gegen die Kleiderordnung im Iran und die Basidsch-Miliz hat sich eine Studentin in Teheran bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Danach wurde sie festgenommen.
Von Sabine Schmitt
Der Vorfall ereignete sich laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw an der renommierten Asad-Universität in Teheran. Aktivisten sagen, die Studentin sei zuvor von Mitgliedern der zu den Revolutionsgarden gehörenden Miliz belästigt worden. Aus Protest soll sie sich dann vor der Universität ausgezogen haben.
In den sozialen Medien kursierte ein Video. Zu sehen ist, wie eine junge Frau erst mit verschränkten Armen in BH und Unterhose auf einer Mauer sitzt, dann läuft sie auf und ab. Dazu trägt sie ihre Haare offen.
Aus dem Fenster gefilmt
Studentin protestiert im Iran im BH gegen Kleiderordnung
Das Video wurde offenbar von den Bewohnern eines Gebäudes nahe der Universität aufgenommen. Es wurde zuerst von einem iranischen Studentenportal veröffentlicht und später von vielen Websites verbreitet. Weitere Bilder zeigen, wie die junge Frau von Männern in Zivil in ein Auto geschubst wird. Auch soll die Studentin, deren Name nicht genannt wurde, bei der Festnahme geschlagen worden sein.
Das Kopftuch muss getragen werden
In der Islamischen Republik Iran gelten strenge Kleidungsvorschriften, die von der jungen Generation zunehmend offensiv ignoriert werden. Ihre Einhaltung wird zudem von sogenannten Sittenwächtern überprüft. Seit den landesweiten Protesten im Herbst 2022 widersetzen sich viele Frauen in den Metropolen etwa der Kopftuchpflicht.
Jina Mahsa Amini, kurz vor ihrem Tod im Iran
Im September 2022 war die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini im Gewahrsam von Sicherheitskräften gestorben, nachdem die sogenannte Sittenpolizei sie festgenommen hatte, weil ihr Kopftuch zu locker saß. Aminis Eltern machten Aufnahmen öffentlich, die ihre Tochter auf dem Krankenbett zeigten.
Die Bilder verbreiteten sich schnell in den sozialen Netzwerken. Bereits an ihrem Todestag kam es vor dem Krankenhaus zu ersten Protesten. Frauen verbrannten ihre Kopftücher und schnitten sich die Haare ab.
Proteste im Iran nach dem Tod von Jina Mahsa Amini
Es gingen vor allem junge Menschen auf die Straße, darunter viele Studierende. Das Regime versuchte, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken. Bereits in der ersten Woche sollen nach verschiedenen Schätzungen bis zu 50 Menschen ums Leben gekommen sein. Amnesty International sprach am 14. Oktober von mindestens 144 Toten. Auch am Jahrestag ihres Todes 2023 gingen Menschen auf die Straße.
Amnesty International Deutschland berichtet, die Behörden hätten ihre Angriffe auf die Menschenrechte immer weiter verschärft, indem sie "in einem Krieg gegen Frauen und Mädchen immer gewaltsamer gegen alle vorgehen, die sich den drakonischen Kleidungsvorschriften widersetzen". Auch die Todesstrafe werde vermehrt eingesetzt.
Patrouillen in den Großstädten wieder verstärkt
Zum Jahresbeginn 2024 hatten Irans berüchtigte Sittenwächter ihre Patrouillen in den Großstädten wieder verstärkt. In mehreren Fällen wurde von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die sich den Kontrollen widersetzten, sowie von Festnahmen berichtet. Der neue, konservativ-moderate Präsident Massud Peseschkian hatte im Wahlkampf versprochen, das Thema anzugehen. Kritikern zufolge hat sich der Kurs der Polizei jedoch bislang kaum verändert. Die Kopftuchpflicht gilt als eine der ideologischen Grundsäulen der Islamischen Republik.
Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini twittern viele Menschen auch unter dem Hashtag #WomanLifeFreedom - so auch nach dem Fall der Studentin im BH. Ein Fall wie der aktuelle, bei dem sich eine Frau bis auf die Unterwäsche entkleidet, war bisher nicht bekannt. Das Schicksal der jungen Frau ist ungewiss.
Regierungsnahe Medien sprechen von "psychischen Problemen"
Regierungsnahe Medien berichteten, der Sicherheitsdienst der Universität habe die Studentin an die Polizei übergeben. Sie wiesen die Darstellung in den sozialen Medien zurück und sprachen von "psychischen Problemen" der jungen Frau. Der Vorfall werde untersucht, hieß es weiter. Ihre Privatsphäre müsse respektiert werden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte ihre sofortige Freilassung. Die Behörden sollten sie vor Folter und anderen Misshandlungen schützen und den Zugang zu Familie und Anwalt gewährleisten.
Wie die Chancen dafür stehen ist derweil ungewiss. Ein iranischer Studentenverband berichtete, dass die Frau in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sein soll. Auf einem von der Gruppe auf Telegram veröffentlichten Video soll zu sehen sein, wie die Studentin in ein Fahrzeug gezerrt wird.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Posts bei X unter #WomanLifeFreedom
- Post von Amirkabir NewsLetter bei X -@autnews_org
- Post von Amnesty Iran bei X - @AmnestyIran
- Amnesty International Deutschland e. V.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 03.11.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.