KOLUMNE

Die USA im Kampf: Wir müssen es in Deutschland besser machen!

Stand: 09.07.2022, 06:00 Uhr

Abtreibungsrecht, Waffengesetz - bei vielen Themen geht ein Spalt durch die amerikanische Gesellschaft, tiefer und unüberwindbarer als jemals zuvor. So weit darf es bei uns niemals kommen, meint Kolumnistin Katrin Brand.

Von Katrin Brand

Eine kleine Insel in einer großen Bucht, nicht weit von Washington, D.C. Wir, eine Bootsladung Vogelfreunde, wollen dort Pelikane beobachten. Als unser Kahn anlegt, werden wir von einer Fahne begrüßt: "Trump 2024, No More Bullshit" steht darauf. Ja, sagt der Tourleiter zu mir, besser nicht über Politik reden, und mit dem Klimawandel haben sie es hier auch nicht so.

Das habe ich inzwischen gelernt: Hier in den USA besser nicht über Politik reden! Amerika geht auf Zehenspitzen, um zu vermeiden, dass es kracht.

Familienfrieden in Gefahr

Nun kenne ich es aus Deutschland auch, dass bei Familienfesten oder im Freundeskreis bestimmte Stichwörter besser umgangen werden. Über den Sinn von Frauenquoten zu diskutieren, kann schon mal ein Abendessen sprengen. Und auch die Themen Corona und Einwanderung können eine unschöne Dynamik entwickeln. Dann muss man sehr schnell die Kurve kriegen: Fußball, Kochrezepte, Urlaubsreisen.

Aber hier in den USA ist es doch noch mal anders - wütender, bitterer, endgültiger. Gerade jetzt.

Der Supreme Court hat Ende Juni entschieden, dass man keinem gesetzestreuen Bürger verbieten darf, eine Waffe mit sich herumzugetragen. Und dass, wo täglich Menschen sterben, weil jemand um sich schießt.

Dazu das Thema Abtreibung. Der Supreme Court hat entschieden, dass jeder einzelne Bundesstaat für sich entscheiden darf, was erlaubt sein soll und was nicht. Genug Stoff, um sehr hitzig zu diskutieren und sich gegenseitig das Familienfest am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, zu verderben.

Da in diesem Land die Menschen sich noch nicht einmal einig darüber sind, was die Fakten sind oder sein könnten, hilft es auch nicht, Argumente auszutauschen. Die Vorstellung, jemanden überzeugen zu können, sollte man ablegen.

Zwei Parteien, zwei Welten

Menschen leben in den USA deshalb inzwischen in gesellschaftlichen Blasen. Ein typischer Anhänger der Demokraten hat fast keinen Kontakt zu Anhängern der Republikaner in seiner Nachbarschaft. Eine steigende Zahl von Eltern sagt von sich, dass sie bestürzt wären, würde ihr Kind jemanden von einer anderen politischen Partei heiraten. Manche Therapeuten empfehlen, man solle besser gar nicht mehr mit Menschen, die man liebt, über Politik sprechen.

Aber auch bei anderen Themen ist es gar nicht so einfach. Die Anhänger beider Lager finden zwar, dass Familie und Kinder das Wichtigste im Leben sind. Bei den Republikanern aber steht an zweiter Stelle Glauben und Religion als etwas, dass ihrem Leben Bedeutung gibt. Bei den Anhängern der Demokraten taucht dieser Aspekt unter den ersten fünf Plätzen gar nicht auf.

"Hier ist kein Platz für Nuancen, hier geht es oft gleich ums große Ganze, um die Frage, wie der echte Amerikaner ist. Oder die echte Amerikanerin. Und dann kann so ein Gespräch in feindseligem Schweigen erstarren." Katrin Brand

Ein Bekannter erzählt mir, dass er nach der Wahl 2016 alle Menschen aus seinem Freundeskreis entfernt hat, die für Trump gestimmt haben. Und auch jetzt, sechs Jahre später, fühlt er sich immer noch völlig im Recht.

Deutschland darf es nicht so weit kommen lassen!

Viele Initiativen im Land beschäftigen sich mit der Frage, wie man denn überhaupt noch Brücken bauen kann, wenn sich die Menschen gar nicht mehr begegnen - und auch nicht begegnen wollen. Wie können sie miteinander sprechen, wenn sie die jeweils anderen für eine Gefahr für die Zukunft ihres Landes halten?

Die Politik ist keine Hilfe. Hier gibt es nur zwei Parteien. Die eine hat das Sagen, die andere nicht. Man gewinnt oder verliert. Kompromisse sind selten geworden. Das war schon vor Donald Trump so. Mit ihm als Präsident ist das aber sichtbar geworden, er hat die Stimmung aufgegriffen und angeheizt.

Mich als Beobachterin macht das traurig und ratlos. Aber wenn ich was daraus lerne, dann das: Was einmal auseinander ist, kommt nur schwer wieder zusammen.

Sprecht miteinander, Ihr Lieben! Hört Euch zu und fällt nicht schnell Eure Urteile übereinander! Sagt nicht "die" und "wir", teilt Menschen nicht in Gruppen ein! Geht Euch nicht aus dem Weg! So weit wie in den USA dürfen wir in Deutschland nie, nie, nie kommen!

Was denken Sie? Wie können wir verhindern, dass wir in Deutschland ähnliche Zustände bekommen, wie in den USA? Müssen wir alle mehr mit- statt übereinander reden? Oder ist unsere Gesellschaft gar nicht mit der amerikanischen zu vergleichen? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Unbekannt 11.07.2022, 08:33 Uhr

    Hier ist viel über die US Gesellschaft zu lesen. Leider ist die deutsche Gesellschaft nach meiner Wahrnehmung ebenfalls gespalten, allerdings nicht nur in 2 Lager. Als Wessi kann ich mich sehr gut und freundlich mit Ossis austauschen. Keine Gespräche kann ich mit Andersdenkenden in Punkto Energieversorgung und Verbrennungsmotor führen, die Lager sind verhärtet. Da zählen Fakten nichts mehr. Die stärkste Spaltung hat die Regierung in der Corona Pandemie erzeugt. In den sozialen Medien und im privaten Bereich gab es fürchterliche Hasskommentare von beiden Lagern. Viele vorher freundschaftlich verbundene Menschen reden bis heute und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht mehr miteinander. Da haben die beiden Bundesregierungen eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

  • Briefkopf 11.07.2022, 07:02 Uhr

    Machen wir uns doch nichts vor, in beiden Parteien (Lagern) der USA regiert das Geld, welches schließlich auch die Eliteschulen und Universitäten finanziert, von Medien und Wirtschaft ganz zu schweigen. Diese US Amerikanische Elite scheint in einem Machtkampf verwickelt zu sein, der sich in den medialen Machtblöcken Fox News einerseits und Washington Post o. New York Times anderseits anhand der Schlagzeilen offenbart. Wir in BRD werden öffentlich rechtlich nur mit der einen Seite dieses Kampfes vertraut gemacht, weshalb wir des Disputs in der US Gesellschaft auch nicht bewusst sein können. Dabei ist so ein Kommentar von Frau Brand wie hier auf Impuls auch notwendig, ein Brandbrief sozusagen. Denn über die US Strukturen UNO, WHO , Weltbank, Dollarsystem Swift, NATO usw wird dzieserZwist auf uns übertragen, wenn auch immer mit zeitlicher Verzögerung?

  • Benjamin 10.07.2022, 14:29 Uhr

    So was gibt's in DE schon