Das Dorf Bremervörde-Elm, in dem der sechs Jahre alte Arian seit mehr als drei Wochen vermisst wird, ist kaum wiederzuerkennen. Einige Tage nach dem Verschwinden des Jungen am 22. April marschierten Hunderte Soldaten dort durch, um nach Arian zu suchen. Am Bürgerhaus sammelten sich Feuerwehrleute, müde von der Nachtschicht.
Inzwischen ist der zentrale Platz im Dorf verwaist. Ein Auto fährt gelegentlich vorbei. Die Suche nach Arian hat sich verlagert - wie schon in den vergangenen Wochen. Im Nachbardorf Gräpel, rund zehn Autominuten von Elm entfernt, steht Polizeisprecher Heiner van der Werp am Dorfhafen, der an der Oste liegt - einem Nebenfluss der Elbe.
Van der Werp sagt, es gebe mehrere Hypothesen, was mit Arian passiert sein könnte. Am wahrscheinlichsten sei ein Unfall ohne fremde Beteiligung. Auch dass der Junge in den Fluss Oste gefallen ist, halten die Ermittler für möglich.
Van der Werp kommt auf ein privates Überwachungsvideo zu sprechen, das Arian kurz nach dem Verschwinden in Elm zeigt. Arian sei in Richtung des Waldes gelaufen. Hinter dem Wald fließt die Oste. In der Nähe des Flusses wurden Fußspuren gefunden.
Sonarboote und Taucher im Einsatz
Die Ermittler halten es für wahrscheinlich, dass es Arians Spuren sind. Doch die Fährte verliert sich. Am Donnerstag soll der Fluss erneut mit zwei Sonarbooten abgefahren werden, Taucher sollen ins Wasser steigen.
Nach dem Verschwinden Arians hatten zunächst Hunderte Einsatzkräfte und Helfer nach dem Jungen gesucht. Sie durchkämmten rund 5.300 Hektar zu Land, zu Wasser und aus der Luft. Täglich waren etwa 800 Menschen und mehr beteiligt, darunter Spezialkräfte mit Hunden, Pferden, Helikoptern, Drohnen, Booten und Tauchequipment. Doch der Erfolg blieb aus.
Nach rund einer Woche war die großangelegte Suche vor Ort zunächst eingestellt worden. Die Entscheidung traf die Polizei in Absprache mit dem niedersächsischen Innenministerium. Eine Ermittlungsgruppe beschäftigte sich weiter mit dem Fall.
Vermisstenexperte Jamin kritisiert Einsatz
"Ich bin empört und erschüttert", sagte dazu der Düsseldorfer Autor und Vermisstenexperte Peter Jamin vor zwei Wochen dem WDR. "Man hat zwar mit mehr als 1.000 Menschen gesucht, aber garantiert noch nicht überall."
Man sollte die Suche von vorne beginnen, meint Jamin, der sich seit drei Jahrzehnten mit Vermistenfällen beschäftigt - früher auch in der Reihe "Vermisst" im WDR Fernsehen. Er kenne Fälle, in denen man Vermiste noch lebend gefunden hätte, "wenn man noch einmal und gründlich gesucht hätte".
Suche nach Arian geht weiter
Am Dienstag kündigte die Polizei nun an, dass die Suche nach Arian fortgesetzt wird. Einen speziellen Anlass dafür gebe es nicht, sagt Polizeisprecher van der Werp. Am Mittwoch waren in Gräpel Polizisten zu sehen, die umherliefen und an Haustüren klopften. Auch in umliegenden Ortschaften waren Beamte unterwegs.
Mit der Presse dürfen sie nicht reden. Stattdessen sprechen sie mit den Dorfbewohnern. Die Beamten sollen die Einwohner ermuntern, abermals auf dem eigenen Grundstück nach Arian zu suchen. Wer nicht zu Hause ist, bekommt einen Flyer in den Briefkasten geworfen.
Die Ermittler halten es für möglich, dass der Junge sich versteckt hat. "Wir wollen die Menschen mit der Aktion ins Boot holen", sagt der Sprecher. "Klinkenputzen" nennt er das. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Autist das Haus allein verließ. Der Polizei zufolge gibt es keinen Hinweis auf einen Kriminalfall.
Arian ist kein Einzelfall
Der Fall Arian ist besonders, aber kein Einzelfall. In Deutschland gelten fast 10.000 Menschen als vermisst. Das Bundeskriminalamt erfasste zu Monatsbeginn 9.554 Frauen und Männer mit unklarem Aufenthaltsort. Rund 70 Prozent der Vermissten seien Männer, männliche Jugendliche und Jungen. Unter den Vermissten sind 1.845 Kinder unter 13 Jahren. Die Zahlen unterliegen Schwankungen.
Arian ist Autist
Die Suche ist auch eine Herausforderung, weil Arian Autist ist. Er wird sich den Einsatzkräften von sich aus nicht anvertrauen. Die Polizei hatte deswegen die Stimme von Arians Mutter über Lautsprecher abgespielt. In den Botschaften erlaubt die Mutter ihm, sich an Einsatzkräfte zu wenden, erklärt die Ergotherapeutin Jutta Bertholdt. Sie berät die Helfer bei der Suche.
Bertholdt riet den Einsatzkräften auch, Arian nicht anzufassen, sollten sie ihn finden. Autisten könnten Berührungen von Fremden als unangenehm oder schmerzhaft empfinden, sagte Bertholdt. Die Ergotherapeutin lobte die Einsatzkräfte: Es werde an allen Orten gesucht, was richtig sei. Es könne sein, dass Arian als Autist anders als Altersgenossen keine Angst vor etwa dem dunklen Wald habe.
Hier gibt es mehr Infos zum Thema Autismus:
Beispiele, die hoffen lassen
Dafür, dass der Junge noch wohlbehalten aufgefunden werden könne, gebe es in der Vergangenheit aber einige Beispiele, hieß es. Vor fast zwei Jahren etwa verschwand Joe in Oldenburg. Der Achtjährige ist geistig beeinträchtigt. Acht Tage lang suchten Einsatzkräfte nach ihm - auch Anwohner. Ein Spaziergänger hörte schließlich ein Wimmern aus dem Kanal. Joe wurde gerettet - unterkühlt, aber gesund.
Über dieses Thema haben wir auch im WDR Fernsehen und Radio berichtet.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Pressemitteilungen der Polizei
- Interview mit Autor Peter Jamin
- Informationen des NDR