Gast-KOLUMNE

Es darf im Winter keine Strom- und Gassperren geben!

Stand: 01.09.2022, 15:50 Uhr

Etwa 3 Millionen Menschen in NRW sind besonders stark von den explodierenden Energiepreisen betroffen. Einem Teil von ihnen droht im schlimmsten Fall eine Strom- und Gassperre. Das zu verhindern, sollte die Priorität der Politik sein, meint unser Gast-Kolumnist Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW.

Von Udo Sieverding

Die Energiemärkte sind im Ausnahmezustand. Im Großhandel schießen die Preise für Gas und Strom in unvorstellbare Höhen. Viele Menschen bekommen die Auswirkungen bereits zu spüren, dabei sind weitere Preissteigerungen programmiert. Und Mieterhaushalte erreicht der Heizkosten-Hammer erst mit Verzögerung. Wir steuern auf ein Desaster zu. Und die Regierenden? Sie verlieren sich im Klein-Klein der Ampelkoalition, anstatt ein Konzept vorzulegen, das uns durch den Winter bringt und Armut verhindert.

Energieversorger sind an Preisgarantien gebunden

Derzeit treffen die Preissprünge besonders krass die Neukund:innen und ebenfalls schmerzhaft viele Haushalte mit laufenden Verträgen. Einziger Lichtblick: Verbraucher:innen mit vertraglich vereinbarten Preisgarantien sind vor allgemeinen Preissteigerungen erst einmal geschützt. Auf Antrag der Verbraucherzentrale NRW hat jetzt das Landgericht Düsseldorf entschieden, dass Preisgarantien weiterhin Bestand haben müssen, und eine einstweilige Verfügung gegen die "Extra Energie GmbH" erlassen - einen Anbieter, der seinen Kund:innen trotz Preisgarantie unzulässig höhere Preise angekündigt hatte. Dieser Erfolg kommt zur rechten Zeit, denn erfahrungsgemäß hätte die Trickserei von "Extra Energie" Nachahmer gefunden. So konnten wir verhindern, dass sich die Büchse der Pandora an dieser Stelle öffnet. Das verschafft zumindest einem Teil der Haushalte eine kurze Atempause, um sich finanziell auf die kommenden Monate vorzubereiten. Denn schon jetzt ist klar: Die Preise werden weiter steigen.

Mehrkosten von bis zu 3.800 Euro im Jahr

Die ganze Wucht alleine der Gaspreisentwicklung wird deutlich, wenn Arbeitspreise von 6 Cent vor der Krise auf derzeit bis zu 25 Cent steigen. Leider keine Einzelfälle, sondern, wie wir aus unserer Marktbeobachtung wissen, immer häufiger üblich. Für einen Vier- bis Fünf-Personenhaushalt mit 20.000 Kilowattstunden Verbrauch bedeutet das Mehrkosten von bis zu 3.800 Euro pro Jahr. Und 25 Cent beim Gas sind noch nicht das Ende der Fahnenstange. Preiserhöhungen für Strom, Benzin und Lebensmittel belasten zusätzlich das Portemonnaie. Kein Wunder also, dass die Menschen verzweifelt zu uns in die Beratungsstellen kommen. Viele wissen nicht mehr ein noch aus. Sie fragen sich, wie sie das alles noch bezahlen sollen.

Ampel-Koalition muss liefern

Trotz anders lautender Beteuerungen in Talkshows, Tweets und Pressekonferenzen - die Regierenden scheinen den Ernst der Lage noch nicht wirklich erkannt  zu haben. Die Ampel-Koalition verliert sich in Details und lähmt sich gegenseitig. Dabei sind nach offiziellen Schätzungen alleine in NRW ca. 3 Millionen Menschen mit geringen Einkommen von den Preissteigerungen besonders betroffen. Einem Teil von ihnen droht im schlimmsten Falle eine Strom- und Gassperre und das Abrutschen in eine Schuldenspirale. Das zu verhindern sollte die Priorität der Regierungskoalition sein. 

Denn eines ist klar: Energiesparen alleine kann den massiven Anstieg der Energiekosten nicht verhindern. Und auch die lobenswerte Ankündigung einiger Wohnungsunternehmen, dass Mieter:innen ihre Wohnung nicht gekündigt wird, wenn sie die Mehrkosten fürs Heizen nicht bezahlen können, ändert an der finanziellen Notlage der Menschen nicht grundsätzlich etwas. Außerdem noch völlig unklar: Wie reagieren Energieversorger auf drohende Zahlungsausfälle? Ein Moratorium für Strom- und Gassperren wäre ein wichtiges Signal, um die Sorge vieler Haushalte vor Energiearmut zu nehmen. Auch hier ist die Bundesregierung gefragt.

Drittes Entlastungspaket muss einkommensarmen Haushalten helfen

Es gilt nun, so schnell wie möglich das dritte Entlastungspaket zu schnüren und vor dem Winter auch noch umzusetzen. Ein Paket, das besonders die einkommensarmen Haushalte stützen sollte. Und es muss mittelfristig ausgerichtet sein. Denn die Energiepreise dürften zwei bis drei Jahre auf deutlich hohem Niveau bleiben.

Für die konkrete Umsetzung gibt es zahlreiche sinnvolle Vorschläge: beim Wohngeld den Bezieherkreis erweitern und eine Heizkostenpauschale einführen, in den Regelsätzen von ALG-II-Empfänger:innen die Pauschale für Strom anheben bis hin zu einer einkommensabhängigen Pro-Kopf-Pauschale.

Doch seit dem zweiten Entlastungspaket Ende März ist quasi nichts passiert und es entsteht zunehmend der Eindruck, dass der politische Wille fehlt, das Thema anzupacken und die sinnvollen Vorschläge auch umzusetzen. Dabei wird vielen Menschen das Wasser in den nächsten Monaten bis zum Hals stehen. Höchste Zeit, jetzt zu handeln!

Was meinen Sie? Wen müsste die Bundesregierung jetzt ganz dringend entlasten - und wie? Lassen Sie uns darüber diskutieren! Hier in den Kommentaren oder auf Social Media.

 

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Kommentare zum Thema

  • Christian 08.09.2022, 14:27 Uhr

    Den Grünen geht die Ideologie vor Pragmatismus. Anstatt die Kernenergie für einen überschaubaren Zeitrahmen weiterlaufen zu lassen, und damit die produzierte Strommenge beizubehalten, soll diese ohne Not durch Abschaltung der Kernkraftwerke reduziert werden. Ein Schelm wer Böses dabei denkt das das Kernkraftwerk in Lingen als erstes vom Netz geht und gleichzeitig bald Landtagswahlen in Niedersachsen sind. Leider sind die Grünenwähler meist Beamte (Lehrer etc.) denen ist es egal ob die Preise steigen, denn die nächste Gehaltserhöhung vom Staat kommt dann ja wieder. Bis irgendwann die Unternehmen aufgrund der Kosten abgewandert sind und wir keine Arbeitsplätze mehr haben. Vielleicht werden wir dann ja auch endlich mal Nettoempfänger in Europa

  • Gnampf 07.09.2022, 08:31 Uhr

    Hohe Preise ? Das ist Kapitalismus, Privateigentum an Gas und Pipeline. Naturgesetz. Da ist vor grauer Urzeit die Eminenz auf den Trichter gekommen: Alles meine. Heuer schießen die Chaoten schon auf AKW. Bei Volltreffer steigt der Strompreis in Europa um 100%.

  • George 06.09.2022, 11:24 Uhr

    Wie sagte schon mein Fahrlehrer: Wenn die Ampel nicht funktioniert, gilt wieder rechts vor links. Ich habe die größten Befürchtungen, was da noch alles auf uns zu kommt.