KOLUMNE

Explodierende Energiepreise: Stoppt den Irrsinn endlich!

Stand: 26.08.2022, 10:00 Uhr

Unsere Nachbarn machen es vor: Gas- und Strompreis werden gedeckelt, der ÖPNV zum Nulltarif angeboten oder Übergewinne von Gewinnern der Energiekrise besteuert. Das sollten wir auch tun, meint Ralph Sina.

Von Ralph Sina

Eine Flagge mit der Aufschrift "Atomkraft nein Danke" | Bildquelle: WDR/dpa/Hörhager

"Atomkraft? Nein danke", steht auf der Fahne, die verblichen am Balkon meines Nachbarn hängt. "Atomkraft? Nein danke" ist bisher auch die Haltung der Bundesregierung. Aber wie lange noch? Was machen wir, wenn die explodierenden Gaspreise nicht mehr fallen und gleichzeitig der Strompreis steigt. Und zwar so, dass man sich auch den nicht mehr leisten kann? Rollt mein Nachbar dann seine Fahne ein? Gibt Kanzler Scholz dann die Order vorläufig die drei noch verbliebenen Kernkraftwerke am Netz zu lassen?

Tatsache ist: Deutschland hat schon jetzt die höchsten Energiepreise der Welt. Es ist das einzige Land das zusätzlich eine Gasumlage einführt.

Gasumlage als Rettungsring für Uniper

Die Gasumlage müssen alle Gaskunden ab Oktober bezahlen. Unsere ohnehin massiv steigenden Gasrechnungen werden also noch einmal teurer - und zwar um 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Obendrauf kommen dann auch noch eine Gasspeicherumlage, eine Bilanzierungsumlage und eine Konvertierungsumlage. Darüber werden Kunden aktuell per Post von ihrem Gasanbieter informiert.

Mit diesem Geld soll vor allem das Düsseldorfer Unternehmen Uniper vor der Pleite gerettet werden, der größte Gasimporteur und wichtigste Gasversorger in Deutschland.

Der hatte sich völlig auf russisches Billiggas verlassen, das er jetzt durch teures ersetzen muss. Allein im ersten Halbjahr hat der Düsseldorfer Gasriese über 12 Milliarden Euro Verlust gemacht. Geht Uniper pleite, können viele Stadtwerke uns nicht mehr mit Gas versorgen.

Es ist die alte Leier: Gewinne werden privatisiert und fließen in die Taschen der Aktionäre. Für die Verluste aus dem riskanten Russlandgeschäft müssen wir Steuerzahler ab Oktober geradestehen. Natürlich macht die Gasumlage jetzt auch Konzerne gierig denen es deutlich besser geht als Uniper. Einige von ihnen haben in den letzten Monaten Millionen- oder sogar Milliardengewinne gemacht und wollen offenbar auf unsere Kosten die Taschen der Aktionäre und Manager füllen.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Gasumlage in der jetzigen Form für gaga! Zumal sie nach drei Monaten schon wieder erhöht werden kann.

Entlastungen sind kaum spürbar!

Eine gezielte Rettung von existentiell wichtigen Gasimporteuren: OK. Aber bitte kein Gießkannenprinzip.

Mich tröstet auch nicht, dass der Staat in Zukunft weniger Mehrwertsteuer auf meine Gasrechnung erhebt. Ich habe nachgerechnet: Bei meinem Strompreis macht die Steuererleichterung gerade mal einen Cent pro Kilowattstunde aus. Der Aufschlag durch die Gasumlage aber 2,4 Cent.

Und das jetzt, wo die Stromrechnungen ohnehin durch die Decke gehen! Der Strompreis an den Energie-Börsen ist in einem Jahr um das Zehnfache gestiegen. In Extremfällen könnte es also auch entsprechend große Preissprünge von 300 auf 1400 Euro auf der Gasrechnung innerhalb eines Monats geben. Hätten wir an der Tankstelle vergleichbare Preissteigerungen von 1.000 Prozent, müssten wir rund 18 Euro pro Liter Benzin zahlen! 18 Euro pro Liter - das würde keine Regierung überleben.

Energie-Experten warnen: Dieser Preis-Wahnsinn entfaltet spätestens zum Jahresende seine brutale Wirkung. Für viele ist das finanzielle K.O. vorprogrammiert. Keine staatliche Hilfe, kein steigendes Wohngeld, keine Mehrwertsteuersenkung auf Gas kann das abfangen.

Der Strommarkt braucht eine radikale Reform!

Strom wird auch mit Hilfe von Gas produziert und die horrenden Gaspreise bestimmen den Strompreis. Der richtet sich nach dem teuersten Kraftwerk, das zur Stromerzeugung zugeschaltet werden muss, und das ist nun mal das Gaskraftwerk! 100 Prozent unseres deutschen Stroms werden zu den Kosten der Gaskraftwerke abgerechnet. Obwohl die gerade mal 15 Prozent zur Energieerzeugung beitragen. Wind- und Solarparks, die keine Gaskosten haben, können sich die Hände reiben. Sie profitieren von Putins Gaskrieg, ob sie wollen oder nicht.

Das geht so nicht weiter. Der Strommarkt und seine Preisbildung müssen reformiert werden. So wie es bereits im Koalitionsvertrag der Ampel steht. Der Strompreis muss vom Gaspreis abgekoppelt werden. Damit wir in Zukunft die Stromrechnungen noch bezahlen können.

Regierung muss Profiteure zur Kasse bitten!

Die Regierung könnte Übergewinne abschöpfen und die Kriegsgewinner zur Kasse bitten. Zum Beispiel Spanien macht das so, um damit Sozialausgaben und einen kostenlosen ÖPNV zu finanzieren. Auch Belgien und Italien wollen durch das Abschöpfen von Konzern-Übergewinnen die Privathaushalte entlasten. Und sogar das wirtschaftsliberale Großbritannien knüpft Energiekonzernen wie BP eine 25 Prozent Sondersteuer ab.

Ich entdecke übrigens, dass ich selbst lange Zeit einem Irrtum aufsaß: Ich habe primär Putins Gaskrieg über Nord Stream 1 für die Preisexplosionen bei uns verantwortlich gemacht. Aber Putin nutzt das von uns fabrizierte Desaster namens Energiewende aus! Wir waren zu viel mit dem Thema "Ausstieg" aus der Kernenergie beschäftigt! Und viel zu wenig mit dem "Einstieg" in die regenerativen Energien. Zu wenig engagiert haben wir uns die Frage gestellt, wie denn die Energie von Sonne und Wind gespeichert und transportiert werden kann - und zwar ohne Energieverlust.

Was jetzt?

Wir müssen alles tun, was die Stromversorgung rund um die Uhr sichert und die Energieknappheit minimiert. Da wir, entgegen den Behauptungen von Habeck und Baerbock, nicht nur ein Gasproblem haben, sondern auch ein Problem der Stromknappheit, sollten wir die letzten drei noch verbliebenen AKW eine begrenze Zeit am Netz lassen. Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, bringt es bei Twitter kurz und knapp auf den Punkt: "Verlängerung ist dringend zu empfehlen."

Entscheidend für den sozialen Frieden in den kommenden Monaten aber ist, dass die Regierung sich nicht nur um die Rettung der Gaskonzerne kümmert und ansonsten stolz darauf verweist, dass ab September ja alle Arbeitnehmer zusammen mit ihrem Monatsgehalt einmalig 300 Euro Energiegeld überwiesen bekommen. Das Energiegeld ist nur ein lächerliches Pflaster auf eine riesige, klaffende Wunde, wenn der Strommarkt nicht reformiert wird und Übergewinne abgegriffen werden.

Ich bin grundsätzlich kein Freund von staatlichen Markt-Eingriffen oder neuen Steuern. Doch diese Kriegszeit in Europa rechtfertigt außergewöhnliche Markteingriffe und Steuern. In der Hoffnung, dass sie uns Bürgern tatsächlich helfen.

Und meinem Nachbarn mit der "Atomkraft? Nein danke"-Flagge rate ich: Häng lieber eine "Heuchelei? Nein danke"-Flagge auf.

Was meinen Sie? Welche Maßnahmen würden die Menschen in Deutschland angesichts der Preissteigerungen wirklich fair entlasten? Und was halten Sie von einer Übergewinnsteuer für Energiekonzerne? Lassen Sie uns darüber diskutieren! Hier in den Kommentaren oder auf Social Media.

 

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Kommentare zum Thema

  • Thomas Mulder 01.09.2022, 07:10 Uhr

    Vielen Dank, Herr Sina. Besser konnte es nicht ausgedrückt werden. Solange das deutsche Volk so gespalten ist, müssen sich die Entscheider auch keine Sorgen um eventuelle Demonstrationen machen. Was sollte auch passieren? Neuwahlen? Dann wären die wieder an die Macht, die uns in die Abhängigkeit von russischem Gas getrieben haben. Diejenigen, die für die Kopplung des Gas- und Strompreises gesorgt haben. Ich wüsste heute wirklich nicht, wer jetzt bereit wäre, diese Probleme zu lösen, da am Ende alle nur von Ideologien oder Gier getrieben werden. Sachliche Problemlösungen haben da leider keinen Platz.

  • Wolf(gang) Gerlach 01.09.2022, 02:47 Uhr

    Gewinn = Unternehmerlohn und ist ok. Sittenwidrig hochgepeitsche Gewinne --unter Ausnutzung von Krisen oder Notlagen-- müssten nicht nur "abgeschöpft - sondern als kriminell bestraft werden. Staatliche Preiswächter , die bestrafen können, haben wir doch eigentlich schon ?!

  • Paul 31.08.2022, 20:09 Uhr

    Hallo! Warum wird mein Kommentar nicht veröffentlicht?