Als am Samstagabend die türkische Fußball-Nationalmannschaft in Berlin gegen die Niederlande auflief, kämpften beide Teams in erster Linie um den Einzug ins EM-Halbfinale. Rund um das Spielfeld ging es aber vor allem um Politik. Grund dafür war die von der UEFA verhängte Spielsperre gegen den türkischen Nationalspieler Merih Demiral.
Torjubel mit Wolfsgruß
Er hatte beim Torjubel im Spiel gegen Österreich den sogenannten Wolfgruß gezeigt. Das Handzeichen gilt als Erkennungssymbol der Anhänger der rechtsextremistischen türkischen "Ülkücü"-Bewegung, die auch "Graue Wölfe" genannt werden und die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Was der Wolfsgruß symbolisiert
Der Wolfsgruß ist ein Handzeichen, bei dem Ring- und Mittelfinger auf den Daumen gepresst und der kleine Finger sowie der Zeigefinger nach oben gestreckt werden. In Kindergärten und Schulen ist das Zeichen auch als Schweige- oder Leisefuchs bekannt.
Bei den Anhängern der rechtsextremen türkischen MHP-Partei, die sich selbst als "Graue Wölfe" bezeichnen, spielt das Zeichen offenbar auf den Mythos des blaugrauen Wolfs an. Dieser soll das urtürkische Volk der Göktürken aus einem Tal namens Ergenekon in die Welt hinausgeführt haben. So beschreibt es der baden-württembergische Verfassungsschutz.
Demnach gibt es aber auch die Legende eines kleinen Jungen, der als einziger Überlebender seines Stammes von einer Wölfin aufgezogen wurde. Die "Grauen Wölfe" tragen den Wolfskopf auch in ihrer Flagge.
Vor allem die Rahmenbedingungen rund um das Viertelfinale im Olympiastadion sorgten für Brisanz. Denn nicht nur der türkische Fußballverband hatte gegen die Sperre protestiert. Auch das türkische Außenministerium bezeichnete die UEFA-Untersuchung gegen Demiral als inakzeptabel und die Reaktion der deutschen Behörden als "ausländerfeindlich".
Wie rechtsextrem ist der Wolfsgruß?
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hob die Debatte dann auf eine noch höhere Ebene, als er seine geplante Aserbaidschan-Reise absagte und stattdessen nach Berlin kam, um dort im Olympiastadion die Partie zu verfolgen - in Begleitung des ehemaligen deutschen Nationalspielers Mesut Özil.
Während der Nationalhymne zeigten dann auch zahlreiche der türkischen Fans im Stadion das umstrittene Handzeichen. Türkische Ultra-Gruppierungen hatten vorher dazu aufgerufen.
Darüber, wie rechtsextrem der Wolfsgruß ist, gehen die Meinungen auseinander, je nachdem, wen man fragt. Laut dem türkischen Außenministerium kann nicht jede Person, die das Zeichen der "Grauen Wölfe" zeige, als rechtsextremistisch bezeichnet werden. Schließlich sei in Deutschland weder der Wolfsgruß noch die Mitgliedschaft in der extrem nationalistischen Bewegung verboten.
Der Aufruf der einflussreichen Fan-Gruppe Ultraslan vom Traditionsclub Galatasaray lässt jedoch anderes vermuten. Auf ihrem Instagram-Account erklärte sie, man könne es nicht abwarten, "als Tausende 'Graue Wölfe' in Berlin und als Millionen in der Welt eine Antwort auf diese Gemeinheit zu geben".
"Graue Wölfe" in Deutschland nicht verboten
Der Torschütze und Verursacher der Debatte Merih Demiral selbst hingegen versteht nach eigener Aussage die Aufregung nicht. "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun […]. Da steckt keine politische Botschaft dahinter" sagte der 26-jährige Verteidiger auf einer Pressekonferenz.
Der türkische Präsident sieht das ähnlich und verglich das Erkennungszeichen der rechtsextremistischen Bewegung mit den Nationalsymbolen anderer Länder: "Fragt jemand, warum auf den Trikots der Deutschen ein Adler ist?", so Erdoğan. "Steht jemand auf und sagt, warum auf den Trikots der Franzosen ein Hahn ist?"
Türkischstämmiger Soziologe: "Faschistisches Symbol voller Hass"
Der Autor und Soziologe Burak Yılmaz aus Duisburg, der sich schon lange mit türkischem Rechtsextremismus beschäftigt, sieht das anders. "Es gibt viele, die sagen: 'Der hat das nicht absichtlich gemacht'", so Yılmaz im Gespäch mit dem WDR. Es komme aber nicht auf die Absicht an, sondern auf die Wirkung. "Und die ist, dass das volksverhetzend ist, dass das menschenverachtend ist und ein faschistisches Symbol voller Hass."
Der Vorsitzende der Informationsstelle Antikurdischer Rassismus, Civan Akbulut, der für die Partei "Die Linke" im Integrationsrat Essen sitzt, sieht das ähnlich. Für ihn ist der Wolfsgruß fest mit der Ideologie der Grauen Wölfe verbunden. "Die sehen Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Sie sind antisemitisch, rassistisch, begründen ihre Ideologie auch vermeintlich rassenideologisch", erklärte Akbulut gegenüber dem WDR.
Der Journalist Eren Güvercin, der auch Mitglied der Alhambra-Gesellschaft ist, einem Zusammenschluss von Musliminnen und Muslimen für Völkerverständigung, verweist auf X (ehemals Twitter) auf die Herkunft des Handzeichens. "Der Wolfsgruß wurde in der Türkei erst 1992 eingeführt, und zwar durch Alparslan Türkeş, der Gründungsfigur der türkisch-rechtsextremistischen Bewegung", so Güvercin.
Dass der Gruß ganz klar das politische Symbol einer faschistischen Bewegung ist, habe Türkeş selbst ganz offen beschrieben. "Wer diese Geschichte des Wolfsgrußes ausklammert, relativiert und verharmlost dieses politische Symbol der Grauen Wölfe", so der Journalist.
Trotzreaktion auf die Entscheidung der UEFA
Für Tuncay Özdamar, den Leiter der türkischen Redaktion von WDR Cosmo, liegt die Wahrheit wie so oft dazwischen. "Das Handzeichen als solches geht auf den Mythos des Wolfes zurück, der das türkische Volk in die Welt führte", sagt er. "In den letzten Jahrzehnten wurde er aber von der MHP genutzt und vereinnahmt, sodass er nicht mehr von deren Ideologien trennbar ist." Man könne also nicht behaupten, er sei nicht politisch.
Dass die UEFA den türkischen Spieler Merih Demiral nach dem Zeigen des politischen Symbols für zwei Spiele sperrte, hält Özdamar dennoch für einen Fehler. "Dadurch wurde eine Trotzreaktion ausgelöst, die wir gestern beobachten konnten", sagt der WDR-Redakteur. Aus Protest gegen die Entscheidung des europäischen Fußballverbandes hätten viele Türken den Wolfsgruß gemacht, auch wenn sie nicht genau wüssten, was er bedeutet.
"So wird er immer mehr in die Mitte der Gesellschaft getragen", sagt Özdamar. Die Gefahr sei, dass er irgendwann auf allen Fußballspielen gezeigt werde und so die rechtsextemistische Bewegung, für die er steht, salonfähig mache. "Und dann hat die Türkei ein Riesenproblem", sagt Özdamar. "Denn die Anhänger der 'Ülkücü'-Bewegung sind nur ein kleiner Teil des Volkes, nicht die Mehrheit."
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Interview mit dem Soziologen Burak Yilmaz
- Interview mit Civan Akbulut
- X-Account von Eren Güvercin
- Gespräch mit Tuncay Özdamar, Leiter der türkischen Redaktion WDR Cosmo
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 07.07.024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.