Buhrow will ARD und ZDF "ohne Tabus" reformieren

Stand: 03.11.2022, 20:28 Uhr

Das öffentlich-rechtliche System muss reformiert werden, und zwar von Grund auf. Das fordert WDR-Intendant Tom Buhrow in einer viel diskutierten Rede.

Der WDR-Intendant und amtierende ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hat eine schonungslose Reformdebatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gefordert. "Wir müssen aus dem bisherigen System ausbrechen", sagte er am Mittwoch in einer Rede in Hamburg. Dabei dürfe es keine Tabus und Denkverbote geben. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlichte seine Rede.

Man müsse sich die Frage stellen, ob Deutschland mit ARD und ZDF weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender wolle. "Wenn nicht: Was heißt das?", sagte Buhrow. "Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?" Auch über die Anzahl der Regionalprogramme, Spartenkanäle, Orchester und Sendeanstalten müsse man diskutieren. "Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung?"

"Runder Tisch" soll neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeiten

Buhrow schlug einen Runden Tisch vor als "eine Art verfassunggebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk". Dieser solle die Grundsatzfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lösen und einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeiten, der mindestens "eine Generation" lang gültig sei.

Die Zeit für solche Reformen sei günstig, erklärte er am Donnerstag im Interview mit dem WDR. Man befinde sich gerade nicht in einer Beitragsdiskussion. Der Staatsvertrag sei gerade von den Ministerpräsidenten unterschrieben worden, dieser reiche aber nicht aus "um uns so aufzustellen, dass wir schlank und stark in die Zukunft gehen können", sagte Buhrow.

"Ich höre es ja überall: Man will uns, aber man will uns schlanker, man will uns auch stark, man will uns effizient und man will uns auch kosteneffizient. Wenn das so ist, muss man ehrlich sein und sagen, auf welche Leistungen im Programm man verzichtet. Und das ist die Debatte, die ich bisher vermisse." Tom Buhrow, WDR-Intendant

Er betonte, dass ein aktives Vorantreiben von Reformen notwendig sei, um nicht - im schlimmsten Fall - wegreduziert zu werden.

Lindner sieht Buhrows Vorstoß als "Meilenstein"

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat Buhrows Vorstoß als Meilenstein bezeichnet. "Die Initiative von Tom Buhrow verdient außerordentlichen Respekt und Beachtung", sagte er am Donnerstag. Buhrows Aussagen seien bisher unsagbar und undenkbar gewesen: "Man sollte die Anregung aufnehmen und alle gesellschaftlichen Bereiche sollten zusammenkommen, um eine Debatte zu führen."

SWR-Intendant Kai Gniffke, der Buhrow 2023 als ARD-Chef nachfolgt, bezeichnete dessen Rede als "Ansporn, mutig zu sein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen." Auch er fand es wichtig, "Dinge zu überdenken, die wir lange für unantastbar gehalten haben".

Kommender ARD-Chef zu Rundem Tisch: Diese Geduld habe ich nicht"

Ob sich diese Reformen mit einem von Buhrow angeregten Runden Tisch angehen ließen, bezweifelte Gniffke jedoch. Dafür müssen man erst die Zuständigkeit für Medienpolitik neu regeln: "Das kann Jahre dauern. Diese Geduld habe ich nicht. Meine Sorge ist, dass in dieser Zeit der Reformeifer erlahmt. Wir sollten jetzt den Elan in der ARD nutzen, um gemeinsam mit unseren Aufsichtsräten mutige Reformen anzuschieben."

Auch innerhalb vieler öffentlich rechtlicher Redaktionen wurde Buhrows Vorstoß kommentiert. So griff der "Monitor"-Redaktionsleiter Georg Restle via Twitter Buhrows Forderung, "ohne Tabus" zu diskutieren, auf, indem er die Finanzierung "mafiöser Organisationen wie FIFA und IOC" durch die Beitragszahler kritisierte. Das bedeute, so Restle: "Schluss mit der Übertragung von Fußball-WM und Olympischen Spielen in ARD und ZDF."

Die Journalistin und Filmemacherin Julia Friedrichs kritisierte Buhrows Rede als "Boomer-Move".

Kulturrat NRW hält Vorschlag für "merkwürdig"

Kritik äußerte auch der Vorsitzende des Kulturrats NRW, Gerhart Baum (FDP) auf Anfrage des WDR. Die Rede diene der Sache nicht, so der ehemalige Bundesinnenminister. Den Vorschlag, einen Runden Tisch einzurichten, der über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berate, hält Baum für "merkwürdig".

Seiner Meinung nach seien jetzt die Länderparlamente, die Landesregierungen, die Gremien der Sender und das Bundesverfassungsgericht als Verantwortungsträger gefragt und müssten "endlich ihre Aufgaben wahrnehmen".

Der nächste Medienstaatsvertrag müsse ein Reformstaatsvertrag werden, forderte Baum in einer Stellungnahme, die dem WDR vorliegt: "In den Landtagen muss das Thema jetzt behandelt werden, anlässlich der Beratungen des gerade vorgelegten Medienstaatsvertrages."

An Aussagen messen

Die Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, Heike Raab, reagierte verhalten auf Buhrows Vorschläge: "Wir werden den ARD-Vorsitzenden an seinen jüngsten Aussagen messen und dann Anfang des kommenden Jahres über die weiteren Reformschritte beraten."

Die SPD-Politikerin betonte auch: "Der Befund, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter einem Akzeptanzverlust leidet und in einer Vertrauenskrise ist, den teile ich und den teilen wir im Länderkreis." Turbulenzen in mehreren ARD-Häusern wegen Vorwürfen gegen Führungspersonal hatten die Kritik an den Sendern zuletzt verstärkt.

Zuspruch von Haseloff

"Die Impulse von Tom Buhrow sind bemerkenswert. Dabei spielt es für mich keine Rolle, in welcher Eigenschaft er in Hamburg gesprochen hat", sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) dem "Spiegel". Buhrow hatte betont, nicht in seiner derzeitigen Funktion als ARD-Vorsitzender, sondern für sich selbst zu sprechen.

Ähnlich wie Haseloff äußerte sich Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) im "Spiegel": "Das öffentlich-rechtliche Medienangebot zu stabilisieren, heißt, es in sich veränderten Zeiten auch neu zu denken." Für die Mediengesellschaft seien öffentlich-rechtliche Inhalte auch in Zukunft von grundlegender Bedeutung.

Kritik vom ZDF-Intendanten

ZDF-Intendant Norbert Himmler äußerte sich kritisch zu den Äußerungen Buhrows. Er sei offen für eine Debatte, teile aber nicht die "pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in Bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".

Himmler nahm auch die Medienpolitik in Schutz. Er nehme sie "als beweglicher wahr, als Tom Buhrow das tut". "Die Initiative etwa, mit Funk ein non-lineares Angebot für junge Leute zu beauftragen, ging von den Ländern aus." Der neue Medienstaatsvertrag eröffne ZDF und der ARD eine flexible, eigenverantwortliche Entwicklung und stärke überdies die Rolle der Gremien bei der Überprüfung von Programmqualität.

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