Ute Hilbert hat sich mit dem Zug aus Burscheid im Rheinisch-Bergischen Kreis auf den Weg nach Berlin gemacht. Die Rentnerin ist eine von 160 Personen, die ab Freitag dafür sorgen sollen, dass 'die' Politik einen zusätzlichen Eindruck bekommt, was 'die' Menschen im Land bewegt.
Dafür hat der Bundestag zum ersten Mal einen Bürgerrat eingesetzt. Das neuartige Ideen-Forum soll im Auftrag des Parlaments Empfehlungen aus der Mitte der Bevölkerung entwickeln. Ute Hilbert ist ein Teil davon. "Ich habe zwar nichts dazu beigetragen, aber trotzdem finde ich es super. Das ist eine gute Sache", sagte sie vor der Abreise nach Berlin im Gespräch mit dem WDR.
Zufällig ausgeloste Mitglieder
Doch was ist ein solcher Bürgerrat überhaupt? SPD, Grüne und FDP hatten schon im Koalitionsvertrag angekündigt, "neue Formen des Bürgerdialogs" nutzen zu wollen. Dafür wurden im Vorfeld 160 Personen per Zufallsprinzip aus allen Menschen über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt. Sie sollen gemeinsam an einem bestimmen Thema arbeiten. Am Ende wird ein "Bürgergutachten" vorgelegt, das konkrete Empfehlungen gibt.
Die Hoffnungen in das Format sind groß. So verspricht sich Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD), dass durch Bürgerräte die "Kluft" zwischen Bevölkerung und Parlamentariern etwas kleiner wird. Auch Menschen aus der "stillen Mehrheit" könne so eine Stimme gegeben werden. Andere Sichtweisen aus den Bürgerräten könnten den Parlamentariern zudem helfen, zuweilen festgefahrene Positionen zu überdenken.
Bürgerrat diskutiert über Ernährung
Als Thema für den ersten Bürgerrat des Bundestages wurde der Bereich Ernährung ausgesucht. So soll sich das Gremium damit befassen, wo der Staat in der Ernährungspolitik aktiv werden soll und wo nicht.
Konkrete Themen sind zum Beispiel Kennzeichnungen zur Umweltverträglichkeit und zu Tierwohlstandards, der Steuerrahmen bei Lebensmitteln oder Lebensmittelverschwendung. Nach der Eröffnung am Freitag wird der Bürgerrat an drei Wochenendsitzungen in Präsenz tagen.
Hinzu kommen sechs digitale Abendveranstaltungen. Ende Februar 2024 sollen die Beratungen fertig sein.
Umsetzung der Vorschläge ist offen
Ute Hilbert hofft, dass die gefundenen Ergebnisse dann auch umgesetzt werden. "Das würde mich enttäuschen", sagt sie für den Fall, dass das nicht so wäre. Doch genau das kann passieren.
Der Bundestag erklärt: "Was umgesetzt wird und was nicht, entscheiden am Ende allein die Mitglieder des Deutschen Bundestages." Eine Pflicht zur Berücksichtigung gibt es also nicht.
Ganz unumstritten ist das Experiment mit einer geregelten Bürgerbeteiligung sowieso nicht. So befürchtet die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann, dass das Vorhaben "die Bedeutung von Parlamenten unterminiert". Die AfD hält Bürgerräte für unnötig und fordert vielmehr "die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden".
Bürgerräte gibt es schon woanders
Dabei ist die Idee der Bürgerräte alles andere als neu. In Nordrhein-Westfalen gibt es auf lokaler Ebener bereits mehrere solcher Gremien - unter anderem in Aachen, Dinslaken, Mettmann und Coesfeld.
Auch in anderen Ländern werden solche Foren genutzt. So hat sich in Frankreich im Frühjahr ein Bürgerrat dafür ausgesprochen, Beihilfe zum Suizid zu erlauben.
In Irland sind Bürgerräte schon ein fester Bestand des politischen Systems. Derzeit arbeitet eine Versammlung zum Umgang mit Drogen. Zwar müssen auch dort die Empfehlungen nicht umgesetzt werden. Aber für die Abgeordneten kann deren Arbeit eine Erleichterung sein. Denn schwierige Themen werden so unter breiter Beteiligung behandelt.
Wenn es gut läuft, könnten solche Bürgerräte wie der des Bundestages am Ende dafür sorgen, dass dadurch auch die Demokratie an sich gestärkt wird.
Handlungsbedarf gibt es auf jeden Fall. Das zeigt ein DeutschlandTrend extra, den das Umfrageinstitut Infratest dimap im Auftrag des WDR durchgeführt hat. Demnach stimmen 37 Prozent der Aussage "Wir leben gar nicht in einer richtigen Demokratie" eher zu.
Unsere Quellen:
- Deutscher Bundestag
- Mehr Demokratie e. V.
- Infratest dimap
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP