Rund zwei Millionen gefährdete Tiere und Pflanzen - das sind doppelt so viele wie in der jüngsten globalen Bestandsaufnahme des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) 2019 angenommen. In Europa ist der am Donnerstag veröffentlichten Studie zufolge ein Fünftel aller untersuchten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben in den kommenden Jahrzehnten bedroht. Die Studie wurde im Fachmagazin "PLOS One" veröffentlicht.
Forscher rund um den Biologen Axel Hochkirch vom Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg und der Uni Trier hatten für die Studie die aktuellen Roten Listen der Weltnaturschutzunion (IUCN) untersucht. So entstand ein neues Lagebild.
Seit Jahren forscht Maximilian Weigend zum Thema Artenvielfalt. Er ist Professor für Biodiversität der Pflanzen an der Universität Bonn und hat mit uns über die Erkenntnisse der Studie gesprochen.
WDR: Herr Prof. Weigend, die Ergebnisse der neuen Studie sind alarmierend. Wie relevant und seriös ist das Ganze überhaupt?
Weigend: Leider kann man die Studie nicht als Schwarzmalerei oder dergleichen abtun, sie ist absolut seriös und relevant. Sie ist ja nicht von irgendwelchen Bachelor-Studenten erstellt worden, die mit ein paar Zahlen jongliert haben, sondern von renommierten Wissenschaftlern.
WDR: Laut der Studie sind rund 27 Prozent der in Europa heimischen Pflanzen bedroht. Bei den Tierarten sind es 24 Prozent der Wirbellosen und 18 Prozent der Wirbeltieren. Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Weigend: Je kleiner eine bestimmte Art ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie vom Aussterben bedroht ist. Es gibt zum Beispiel bestimmte Orchideen-Arten, die nur auf einzelnen Inseln im Mittelmeer vorkommen, oder bestimmte Insekten, die nur in einem bestimmten Gebirgsstock leben. Solche Pflanzen und Tiere, die nur auf einem verhältnismäßig kleinen Raum leben, sind extrem vom Aussterben bedroht. Die größte Bedrohung für die Biodiversität ist zweifelsohne der Klimawandel.
Und es gibt noch eine weitere Entwicklung: Eigentlich häufige Arten werden immer seltener. Hier bei uns in Bonn, im Kottenforst, sind im Frühling zum Beispiel Maiglöckchen immer seltener zu finden. Wo es früher 100 Populationen gab, sind es heute oft nur noch zwei bis drei.
WDR: Was bedeutet das drohende Aussterben von Arten für das Überleben der Menschheit?
Weigend: Es ist fatal und vor allem ein Symptom negativer Veränderungen der globalen Ökosysteme. Durch den Klimawandel und dadurch bedingt durch das Aussterben von Arten sowie durch Eingriffe des Menschen – Stichworte beispielsweise: Waldrodungen, Zerstörung der Meere durch Plastikmüll, Einbringen von Giftstoffen wie Pestiziden – verändern sich die Ökosysteme komplett. Die Menschen verbrauchen zu viele Dinge aus der Natur. Wasser, Bäume, Fische. Unter dem Strich ist dieser Planet hoffnungslos überlastet und hat nicht genug Zeit, lebensnotwendige Ressourcen zu regenerieren.
WDR: Und wie kann noch gegengesteuert werden?
Weigend: Das ist aus meiner Sicht eine Frage des politischen Willens – zahlreiche technische Lösungen liegen vor, weitere können problemlos entwickelt werden. Die überwiegende Mehrzahl der Politiker versteht aber überhaupt nicht, was aktuell auf dem Spiel steht.
WDR: Was schlagen Sie als Ad-hoc-Maßnahmen vor?
Weigend: Ad hoc müsste beispielsweise endlich Glyphosat in der Landwirtschaft verboten werden. Dieses Unkrautvernichtungsmittel zerstört die Artenvielfalt und gefährdet das Wasser. Beim Ausbau der Transportwege müsste auf die Schiene – und nicht auf Straßen – gesetzt werden. Elektromobilität muss konsequent umgesetzt werden, daneben muss der Einsatz Erneuerbarer Energien priorisiert werden. Und wir alle müssen endlich mit Ressourcen anders umgehen. Zum Beispiel den Energieverbrauch drastisch senken oder bei der Wahl von Lebensmitteln stärker Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen.
WDR: Biodiversität ist Ihr Metier. Was machen die alarmierenden Ergebnisse der Studie eigentlich mit Ihnen persönlich?
Weigend: Für mich waren die Ergebnisse nicht überraschend. Die zunehmende Gefährdung von Arten ist ja schon seit Jahrzehnten bekannt und dokumentiert. Alarmierend ist für mich, dass immer noch nicht wirklich etwas geschieht, um dem entgegenzuwirken. Eigentlich steuern wir seit langem sehenden Auges in den Untergang.
Das Gespräch führte Sabine Meuter.