Bauen oder nicht bauen - diese Frage stellt sich seit Monaten beim Thema Autobahnen. Sollen zusätzliche Strecken neu und bestehende Autobahnen ausgebaut werden? Oder soll der Fokus lieber darauf liegen, marode Brücken zu sanieren und den Erhalt zu sichern? Ersteres möchte Bundesverkehrsminister Volker Wissing und seine FDP, Zweiteres die Grünen und NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer.
Bislang ist kein Ende des Streits in Sicht - im Gegenteil. Beide Seiten scheinen sich immer mehr zu verhaken. Neuste Episode: NRW könnte eine von Wissing gesetzte Frist verstreichen lassen und den Bundesverkehrsminister ausbremsen - zusammen mit anderen Bundesländern, in denen die Grünen regieren.
Turbogeschwindigkeit für Autobahnprojekte
Geht es nach Wissing, sollen in NRW 66 Autobahnprojekte beschleunigt umgesetzt werden, die Stauschwerpunkte und Engstellen sind. Wochenlang hatte die Ampel in Berlin darüber gestritten, ob schnellere Planungen nicht nur für den Bau von Windrädern ermöglicht werden sollen, sondern auch für Autobahnen. Am Ende kam ein Kompromiss heraus, dass tatsächlich besonders wichtige Bauvorhaben beschleunigt werden - wenn das entsprechende Bundesland einverstanden ist.
Und genau daran könnte die Umsetzung nun teilweise scheitern. Denn die Grünen sind trotz des Ampel-Kompromisses weiterhin dagegen, Autobahnen auszubauen - auch wenn dadurch Stauschwerpunkte beseitigt werden. Und die Tatsache, dass sie den Plänen des Bundesverkehrsministers in den Ländern zustimmen müssen, scheinen sie nun auszunutzen. Das zeigt das Beispiel NRW.
NRW lässt wohl Frist verstreichen
Mitte April hatte Wissing einen Brief an seinen NRW-Kollegen Krischer geschrieben. Er liegt dem WDR vor. Der Tenor: Bis zum 28. April soll NRW sagen, ob es den vorgeschlagenen 66 Autobahnprojekten zustimmt. Aus Sicht der Grünen ein Affront. Innerhalb von wenigen Tagen will der FDP-Minister die Zustimmung für solch weitreichende Entscheidungen? Von Anfang an schien es unwahrscheinlich, dass sich der grüne Minister darauf einlässt.
Und so könnte es nun auch kommen. Anstatt Wissing die Zustimmung zu geben, schrieb Krischer einen Antwortbrief an den Bundesminister. Auch er liegt dem WDR vor. Darin wird deutlich, dass Krischer auf die Bremse drückt.
"Angesichts der Vielzahl von Projekten, die in Nordrhein-Westfalen verortet sind, benötige ich vor einer Entscheidung über die Erklärung des jeweiligen Einverständnisses weitere Informationen und bitte um Beantwortung der folgenden Fragen", heißt es. So will Krischer von Wissing unter anderem wissen, wie genau die einzelnen Projekte überhaupt beschleunigt werden können.
"Was nützt eine Autobahn, die vor einer kaputten Brücke endet?"
Doch es wird auch deutlich, dass Krischer eigentlich gar nicht zustimmen will und den Handlungsbedarf ganz woanders sieht. So weist der Grüne darauf hin, dass NRW ein "Hotspot" sei, was sanierungsbedürftige Autobahnbrücken angeht. "Angesichts dessen möchte ich Sie ausdrücklich bitten, alle Kapazitäten dafür einzusetzen die anstehenden Bauwerkssanierungen schnell und effizient umzusetzen." Bedeutet: Wissing soll erstmal die maroden Brücken im Land sanieren und dann kann über den Ausbau von Autobahnen gesprochen werden.
Diese Haltung erneuerte Krischer am Freitag im Gespräch mit dem WDR. In NRW gebe es ein "Riesenproblem mit den Autobahnbrücken", weshalb die Sanierung "absolute Priorität" habe. "Was nützt mir ein Autobahnausbau, den ich in ein paar Jahren habe, wenn eine zehn- oder achtspurige Autobahn dann vor einer kaputten Brücke endet?"
Nicht alle Länder widersetzen sich
Auch andere Länder mit grüner Regierungsbeteiligung wie Hessen und Baden-Württemberg brauchen angeblich noch mehr Zeit für die Prüfung der Pläne. Doch es geht auch anders. Aus Niedersachsen, wo die Grünen ebenfalls mitregieren, hieß es am Freitag, dass man der schnelleren Umsetzung mehrerer Autobahnprojekte zustimmen werde. Schleswig-Holstein ist ebenfalls einverstanden. Und auch das CSU-regierte Bayern will grünes Licht geben.
Stemmt sich NRW weiterhin gegen die Umsetzung, könnte es am Ende also so kommen, dass in manchen Bundesländern Autobahnen schneller ausgebaut werden, um die Staus dort zu reduzieren - und im besonders staugeplagten NRW nicht.
Rückendeckung von der CDU
Genau mit diesem Szenario "droht" nun das Bundesverkehrsministerium. Am Freitag sagte eine Sprecher: "Da, wo eine Rückmeldung aussteht, werden sie nicht in den Gesetzesentwurf einfließen. Konkret bedeutet das, dass diese Projekte dann eben nach herkömmlichen Verfahren umgesetzt werden müssten."
Und was sagt Krischers Koalitionspartner in Düsseldorf zu all dem? Von der CDU gibt es Rückendeckung. "Eine realistische Gesamtbewertung war innerhalb der durch den Bund sehr knapp gesetzten Frist nicht möglich", sagte am Freitag Oliver Krauß, verkehrspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. Krischer handele "im Interesse der Menschen hier in NRW".
Demonstration vor dem Umweltministerium
Vor dem Düsseldorfer Umweltministerium protestierten rund 100 Aktivisten von Fridays for Future gegen die Verkehrspolitik von Bund und Land. Insbesondere kritisieren sie, dass in NRW trotz Klimakrise fast 70 Autobahnen beschleunigt ausgebaut werden sollen. Auf Bannern und Plakaten sind Slogans zu sehen wie: "Verkehrswende jetzt“ und "Klimawandel ist tödlich“. Nach der Kundgebung zogen die Demonstration in die Altstadt und über die Königsallee.