Razzien beim völkisch-rassistischen Verein "Artgemeinschaft" | sv

00:28 Min. Verfügbar bis 27.09.2025

"Träumereien vom NS-Staat": Verbot der rechtsextremen "Artgemeinschaft"

Stand: 27.09.2023, 21:16 Uhr

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat den rechtsextremen Verein "Artgemeinschaft" verboten. Der Verein pflege ein rassistisches und antisemitisches Weltbild, so die Begründung. Durchsuchungen gab es auch in NRW.

Laut Innenministerium wurden am Mittwochmorgen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie weitere Räume des Vereins "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" in zwölf Bundesländern durchsucht. Das Verbot gegen die Vereinigung, die dem Milieu der völkischen Siedler zugerechnet wird, sei mehr als ein Jahr vorbereitet worden.

Innenministerium verbietet Artgemeinschaft

WDR Studios NRW 27.09.2023 00:47 Min. Verfügbar bis 04.10.2025 WDR Online


Razzia gegen rechtsextremistische "Artgemeinschaft" in Essen

Polizist durchsucht Auto bei Razzia in Essen

Durchsucht wurde unter anderem eine Arztpraxis in Essen. Der Mediziner und ein Teil seiner Familie bewegen sich laut Kennern der Szene seit langem im rechtsextremen Umfeld. Ziel der Razzia war auch das Wohnhaus eines führenden Mitglieds der "Artgemeinschaft" in Porta Westfalica: Es handelt sich dabei um die ehemalige stellvertretende Leiterin des Vereins, die anschließend in der jetzt ebenfalls verbotenen Unterorganisation "Familienwerk" tätig war.

Laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stand auch ein Objekt in Oberhausen im Fokus der Ermittler. Während der Razzia sollen Beweise gesichert und das Vereinsvermögen beschlagnahmt werden. Das Verbot der seit Jahrzehnten aktiven Vereinigung sei überfällig gewesen, erklärte Reul: "Mit menschenverachtenden Fantasien und Träumereien des NS-Staates haben sie sich auf der Liste der Verfassungsfeinde nach oben katapultiert."

Pseudoreligiöser germanischer Götterglaube

Faeser nannte den Verein in einer Mitteilung eine "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung". Die Siedlerbewegung verbreite unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ein gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel sei die Erhaltung und Förderung der eigenen "Art" - was man mit dem Rassebegriff der Nationalsozialisten gleichsetzen könne.

"Eine sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung" Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin

In einem Bericht des Verfassungsschutzes von 2020 wurde die Gemeinschaft als "die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung" bezeichnet. Ihre Mitglieder werden angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen. Wie viele Mitglieder der Verein insgesamt hat, ist noch unklar. Während Reul von rund 150 Anhängern sprach, gehen die Behörden anderen Quellen zufolge von bundesweit 300 Mitgliedern aus.

Begründung: Schutz der Kinder

Der Staat habe auch eingreifen müssen, um die Kinder der Mitglieder zu schützen, betonte Faeser. Denn: "Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen."

Rechtsextremismus-Experte: NRW kein Schwerpunkt des Vereins

Einen echten regionalen Schwerpunkt der "Artgemeinschaft" gebe es nicht, sagt der ARD-Rechtsextremismus-Experte Julian Feldmann im Gespräch mit dem WDR. Auch NRW spiele keine herausragende Rolle in der Arbeit des Vereins. Auffällig sei die "Artgemeinschaft" in den vergangenen Jahren eher in Teilen von Thüringen geworden. Doch auch wenn die Mitgliederzahl sehr überschaubar sei - unwichtig sei die Gruppierung deshalb nicht. "Der Verein gilt als ein Rückgrat der rechtsextremen Szene", meint Feldmann, "und auch als Kaderschmiede". In konspirativen Versammlungen mit bis zu 300 Teilnehmern werde unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege eine "knallharte NS-Rassenideologie" vermittelt.

Beobachter der rechten Szene warnen seit Jahren vor den Aktionen der traditionellen völkischen Szene in NRW. Besonders in Ostwestfalen-Lippe seien solche Gruppierungen aktiv. Ein Grund dafür seien auch Stätten wie die Externsteine bei Paderborn, die bereits im Nationalsozialismus mit germanischen Traditionen in Verbindung gebracht wurden.