Müssen wir mit Einzeltätern auch in NRW rechnen?

Aktuelle Stunde 17.10.2023 UT Verfügbar bis 17.10.2025 WDR Von Daniela Rüthers-Becker

Nach dem Anschlag in Brüssel: Wie ist die Sicherheitslage in NRW?

Stand: 17.10.2023, 19:48 Uhr

In Brüssel hat ein mutmaßlicher Islamist am Montag zwei schwedische Fußball-Fans erschossen. Auch in NRW sei die Gefahr eines islamistischen Anschlags abstrakt hoch, aber nicht konkret, sagt Innenminister Herbert Reul.

"Wir haben keine Hinweise darauf, dass irgendwo irgendwer irgendetwas ganz Konkretes plant", sagte der CDU-Politiker am Montagabend im ZDF-"heute journal". Aber das bedeute nicht, dass keine Gefahr bestehe. Die Lage könne "jederzeit" explodieren.

Auch gegenüber dem WDR sagte Reul am Dienstag: "Sowohl der Verfassungsschutz als auch die Polizeien überprüfen permanent die Gefährderdateien. Es wird permanent aktualisiert und trotzdem ist man nicht 100 Prozent gefeit."

Fast 200 Islamisten in NRW

Laut BKA gibt es bundesweit derzeit mehr als 500 sogenannte Gefährder im "Phänomenbereich Politisch motivierte Kriminalität (PMK) – Islamistischer Terrorismus". Als Gefährder werden Personen eingestuft, bei denen die Sicherheitsbehörden annehmen, dass sie politische Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnten. Fast 200 der bundesweit mehr als 500 hat das Landesinnenministerium in NRW registriert.

"Vielleicht kennen wir gar nicht alle. Die, die wir kennen, haben wir einigermaßen im Blick, mal intensiver, mal weniger intensiv. Die meisten Sorgen machen mir die, die man nicht kennt. Die plötzlich da sind, weil wir im Netz merken, da tut sich was. Oder weil wir von auswärtigen Diensten Hinweise bekommen", sagte Herbert Reul am Dienstag in der "Aktuellen Stunde" des WDR.

Terrorismus-Experte: Gefahr ständig da

ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg bestätigt: "Wir müssen nach Auskunft der Sicherheitsbehörden in Europa ständig damit rechnen, dass solche Dinge passieren - und zwar nicht nur in anderen Ländern, sondern auch hier bei uns."

Er erinnert unter anderem an zwei Männer in Castrop-Rauxel, die einen Anschlag mit dem Giftstoff Rizin geplant hätten, oder an den Attentäter in Duisburg, der mehrere Menschen in einem Fitnessstudio angegriffen habe. Götschenberg: "All das gibt es nach wie vor. Aber erfreulicherweise gelingt es den Sicherheitsbehörden auch recht häufig, diese Pläne zu erkennen und zu durchkreuzen".

Oft gelinge das auch dank der Hilfe anderer Staaten und deren Geheimdiensten, auch im Fall Castrop-Rauxel, sagt Terrorismusexperte Götschenberg. Das sei aber auch ein Problem. "Beim Internet-Monitoring haben wir eindeutig blinde Flecken. Trotzdem muss man im Detail darüber reden, was man denn zusätzlich will."

Er bezieht sich dabei auf den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Der hatte bei einer Anhörung im Bundestag am Montag gesagt, dass er nicht pauschal jede Forderung nach mehr Technik und Abhörmöglichkeiten unterschreiben würde. "Weil man am Ende die Balance halten muss zwischen Freiheitsrechten und Eingriffsrechten der Polizei oder des Verfassungsschutzes."

Deutschland werde nie die Fähigkeit einer NSA haben, sowohl rechtlich als auch personell. Deswegen werde diese Abhängigkeit von Ermittlern aus anderen Ländern auch weiter bestehen, so der Terrorismus-Experte.

Reul: "Das ist bedrückend"

Herbert Reul in der "Aktuellen Stunde"

Herbert Reul in der "Aktuellen Stunde"

Auch NRW-Innenminister Reul weiß das und ist unzufrieden über den Status quo. "Mein größtes Problem ist: Ich weiß zu wenig. Ich bin sehr oft auf Hinweise von auswärtigen Diensten angewiesen, die einem sagen, dass da irgendwer versucht hat, eine Waffe zu kaufen." Das sei bedrückend und habe unter anderem mit dem deutschen Recht zu tun.

Wir brauchen eine Chance, frühzeitiger im Netz mitzukriegen, was da passiert. Das ist einerseits eine Frage von Personal. Darum müssen wir uns kümmern, das kann man leisten. Zweitens ist es die Frage von Technik. Die Polizei muss digitaler gemacht und technisch besser ausgestattet werden. Herbert Reul, NRW-Innenminister

Wichtig seien auch die Regelungen zum "Abfischen" von Daten. Der Datenschutz habe in Deutschland zu Recht einen hohen Stellenwert, sagt Reul, "aber manchmal wird man schon unruhig und sagt: Verdammt nochmal, warum muss ich mir von Amerikanern oder Kanadiern oder wem sonst die Informationen liefern lassen".

Reul: Abschiebung schwierig

Die Opposition im Landtag fordert vom Innenminister, den Verfassungsschutz zu stärken und schneller abzuschieben. Allein in NRW sind 24 Gefährder ausreisepflichtig. "Unterschiedliche Haltungen in der NRW-Landesregierung zwischen CDU und Grünen dürfen nicht dazu führen, dass man zu zögerlich mit den Möglichkeiten des Ausländerrechts umgeht", sagt Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP.

Überall, wo das faktisch und technisch möglich sei, müssten doch Gefährder "vor die Tür gesetzt werden", da dürfe es keine zwei Meinungen geben, so Lürbke. Ähnliche Forderungen kommen schon seit langem von der AfD und jetzt auch wieder aus der Union. Reul findet das "einen schönen Gedanken", der müsse aber auch praktikabel sein, sagte er im ZDF-Interview. Denn man müsse nachweisen, dass die Person straffällig geworden sei, und man müsse ein Land finden, das die Person aufnehme. "So leicht ist das nicht."

Wüst: NRW solidarisch mit Belgien

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sicherte am Dienstag den Belgiern Solidarität und Unterstützung zu. In einem am Dienstag auf der Plattform X (früher Twitter) veröffentlichten Schreiben an den belgischen Premierminister Alexander De Croo äußerte er seine Erschütterung über das Attentat "auf zwei unschuldige Menschen". Nordrhein-Westfalen stehe im Kampf gegen den internationalen Terror fest an der Seite Belgiens.

Über dieses Thema berichten wir am Dienstag, 17.10.2023, unter anderem auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen sowie im "Echo des Tages" im Radio.

Unsere Quellen:

  • Interview mit Herbert Reul in der "Aktuellen Stunde"
  • Interview mit Marc Lürbke in der "Aktuellen Stunde"
  • Interview mit Michael Götschenberg, ARD-Terrorismusexperte, im "Echo des Tages" (WDR 5)
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)
  • Lagebericht des Bundeskriminalamts