Klimaaktivisten kleben sich fest: Was darf ziviler Ungehorsam?
Stand: 01.11.2022, 13:19 Uhr
Wieder haben sich Klimaaktivisten auf eine Straße "geklebt". In Berlin stockte dadurch der Verkehr und die Feuerwehr soll verspätet zu einem Notfall gekommen sein. Radikalisieren sich Teile der Umweltbewegung, weil die Politik nicht reagiert?
Die Protestaktionen von Klimaschutzaktivisten werden spektakulärer. Vor zwei Wochen erst hatten Aktivisten im Potsdamer Museum ein 100 Millionen Euro teures Gemälde mit Kartoffelbrei beworfen, am Wochenende klebten sich zwei Aktivisten an ein Dinosaurier-Skelett im Naturkundemuseum in Berlin und am Montag nun sorgte eine Verkehrsblockade von Klimaaktivisten in Berlin für massiven Stau. Doch nicht nur das: Nach Angaben der Feuerwehr wurde dadurch auch die Rettung einer lebensgefährlich verletzten Radfahrerin massiv verzögert.
Kanzler kritisiert Aktivisten
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte die Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generaton" und appellierte daran, dass ihre Aktionen nicht zur Gefährdung anderer beitragen dürfen. "Ich glaube, dass wir kritische Haltung, kritischen Protest akzeptieren müssen. Dass die Aktionen jetzt nicht auf sehr weitreichenden Beifall gestoßen sind, ist auch offensichtlich", sagte Scholz vor Journalisten.
Polizei: "Märchen vom harmlosen Protest"
Scharfe Kritik kam von der Polizei: "Spätestens jetzt sollte man sich mal vom Märchen des harmlosen Protests verabschieden. Wer Verkehrswege blockiert, riskiert und behindert die Handlungsfähigkeit der Inneren Sicherheit und nimmt auch bewusst in Kauf, dass Menschen in Not länger auf Hilfe von Polizei und Feuerwehr warten müssen", sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft.
Auch Klimaforscher Mojib Latif, der nicht müde wird, vor der Klimakatastrophe zu warnen, empört sich über das Vorgehen der Aktivisten. "Ich finde solche Blockaden völlig unakzeptabel, denn der Zweck heiligt nicht die Mittel. Und insofern mag das Anliegen für mehr Klimaschutz zwar verständlich sein, und das würde ich auch unterstützen, aber wir leben in einer demokratischen Gesellschaft und in der gelten eben bestimmte Regeln. Und diese Regeln hat man auch einzuhalten", sagte er dem WDR.
Experte: "Protest nur in Grenzen der Gesetze rechtmäßig"
Attacke gegen Monet-Bild
Lange Zeit haben Klimaaktivisten friedlich für eine Abkehr von fossilen Brennstoffen demonstriert, doch in der jüngeren Vergangenheit - mit zunehmender Erderwärmung und mit dem Auftreten von "Extinction Rebellion" - überschritten die Aktionen zum Teil auch die Grenzen des Erlaubten. Diese Aktionen lösen immer wieder Debatten aus um die Frage, was ziviler Ungehorsam eigentlich darf.
Auch in Köln klebten sich Aktivisten der sogenannten "Letzten Generation" im Sommer auf einer Hauptverkehrsader fest und verursachten ein Chaos. Fällt das unter die Kategorie "ziviler Ungehorsam"? Und ist das angesichts der Klimakrise vertretbar?
"Rechtlich lautet die Antwort "Nein". Protest ist nur in den Grenzen der geltenden Gesetze rechtmäßig", sagt der Rechtsanwalt Joschka Selinger vom Verein "Gesellschaft für Freiheitsrechte" aus Berlin. "Bei den Straßenblockaden der "Letzten Generation" kann die Strafnorm der Nötigung eine rechtliche Grenze darstellen, sich die Teilnehmer an einer Blockade also strafbar machen", ordnete Selinger dies damals im Gespräch mit dem WDR ein.
Regelbruch als wesentliches Merkmal des zivilen Ungehorsams
Aber: "Ziviler Ungehorsam zeichnet sich gerade durch den Regelbruch aus. Die Überschreitung sozialer oder gesetzlicher Normen aufgrund eines moralischen Anliegens ist das Wesen des zivilen Ungehorsams. Der Ernst des eigenen Anliegens wird dadurch verstärkt, dass die Protestierenden im Zweifel auch die Möglichkeit einer Verurteilung in Kauf nehmen, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen", sagt Selinger mit Blick auf die Aktion der "Letzten Generation" in Köln.
Welche Art von Protest muss die Gesellschaft also aushalten? Natürlich richtet sich die Aktion der Aktivisten nicht gegen die einzelnen Autofahrer, sondern gegen Politik, Industrie und Lobbyisten, die nach ihrer Ansicht nicht bereit sind für eine radikale Abkehr von den fossilen Brennstoffen, die die Erderwärmung befeuern.
Kann es also unter Umständen statthaft sein, wenn sich Aktivisten auf einer Hauptverkehrsader "festkleben" und damit in vielerlei Hinsicht andere gefährden? Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke zeigt sich gegenüber dem WDR skeptisch.
Die Aktivisten hätten sich in der Vergangenheit bei ihren Aktionen zumeist auf Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes gestützt, so Solmecke. Dieser Artikel regelt das Widerstandsrecht. Darin heißt es:
Gemeint sind Angriffe auf die Verfassung selbst, die Ordnung der parlamentarischen Demokratie sowie des sozialen und föderalen Rechtsstaates. "Der Artikel ist für den absoluten Ausnahme- und Notfall gemacht", betont Solmecke. Er gelte aber nicht, wenn die Regierung beispielsweise gegen einzelne Klimaschutz-Auflagen verstößt. Die Aktivisten könnten ihre Aktionen also auch nicht über das Grundgesetz rechtfertigen - "obwohl natürlich der Klimaschutz ein wichtiges Thema der Gegenwart ist", räumt Solmecke ein.
Radikalere Aktionen "nachvollziehbar"
Der Jurist Selinger vom Verein "Gesellschaft für Freiheitsrechte" wundert sich indes nicht, dass die Klimabewegungen zunehmend radikaler werden. "Das finde ich nachvollziehbar." Schließlich hätten die bisherigen Aktionen nicht zu einem Umdenken geführt.
Das Recht nicht auf ihrer Seite - noch nicht?
Laut dem Weltklimarat IPCC müssen Regierungen 'jetzt oder nie' handeln, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Dringlicher kann die Lage also nicht sein", meint Selinger, der sich vorstellen kann, dass die Rechtsprechung sich im Sinne der Demonstranten ändern könnte.
"Denkbar ist die Annahme eines rechtfertigenden Notstands aufgrund der Gesundheitsgefahren durch die Klimakrise, wie es einige Schweizer Gerichte entschieden haben." Allerdings: Alle Urteile wurden von Instanzgerichten höchstrichterlich wieder einkassiert.
Und in Deutschland? In den vergangenen Monaten habe es zahlreiche Ermittlungsverfahren, auch gegen Aktivisten der "Letzten Generation" gegeben, so der Kölner Rechtsanwalt Solmecke. Urteile gab es ihm zufolge bislang nicht. In dem jünsten Berliner Fall aber, zeigen sich auch die Klimaaktiisten selbst bestürzt. Die Sprecherin der Klima-Protestgruppe "Letzte Generation", Carla Hinrichs, sagte, die Gruppe hoffe inständig, dass sich der Gesundheitszustand der Frau durch die Verspätung des Feuerwehr-Spezialwagens nicht verschlimmert habe. "Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten."