Mick Jagger: Die Stimme der Stones

Von Jasper Witkowski

He can't get no satisfaction: Mit ihrem extrovertierten Bandleader sind die Rolling Stones eine der größten Konstanten in England. Frontmann Mick Jagger wird am 26. Juli 2023 80 Jahre alt, seine Band feierte im vergangenen Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum.

Sänger, Schauspieler, Geschäftsmann: Mick Jagger hat viele Facetten. Mit den Stones gelangt er Mitte der 60er zu Weltruhm. Aus der ehemals fünfköpfigen Bluesband hat er im Laufe der Jahre ein ganzes Rock-Imperium aufgebaut. Angefangen hat alles in einem Vorort von London.

In Dartford erblickt Michael Philip Jagger am 26. Juli 1943 das Licht der Welt. Sein Vater ist Sportlehrer, seine Mutter, gebürtige Australierin, arbeitet bei der Kosmetikfirma Avon. Mikes Kindheit verläuft in geordneten Bahnen. Schon in der Grundschule lernt er den fünf Monate jüngeren Keith Richards kennen, ihre Liebe zur Musik entdecken beide aber erst später. Der junge Mike (rechts oben im Bild) ist vor allem sportbegeistert – und teilt mit seinem Vater eine besondere Vorliebe für Basketball.

Ein Schulfreund namens Dick Taylor (links, hier mit seinen späteren Bandkollegen bei The Pretty Things) weckt Mikes Interesse für Bluesmusik. Gemeinsam mit zwei anderen Mitschülern gründen sie eine Band, die später den klangvollen Namen "Little Boy Blue and The Blue Boys" trägt.

Im Gegensatz zu Jazz, Rock'n'Roll und Skiffle ist der Blues in England zu dieser Zeit wenig populär. Umso schwieriger gestaltet sich auch die Suche nach passenden Tonträgern zur Inspiration. Manche Alben können Jagger, Taylor und Co. in Londoner Plattenläden besorgen – andere lassen sie sich direkt vom amerikanischen Independent-Label Chess per Post zuschicken. Bei Chess stehen unter anderem Chuck Berry und Muddy Waters unter Vertrag.

Schallplatten von Muddy Waters und Chuck Berry hat Jagger auch am 17. Oktober 1961 im Gepäck, als er seinen ehemaligen Schulfreund Keith Richards am Bahnhof in Dartford wiedertrifft. Während Mike inzwischen BWL an der London School of Economics studiert, besucht Keith die Kunstschule im Stadtteil Sidcup. Beide warten auf den gleichen Zug – und kommen ins Gespräch. Wenig später wird Richards in die gemeinsame Bluesband von Jagger und Taylor aufgenommen.

Im Ealing Blues Club im Londoner Westen haben Mike – der inzwischen Mick genannt wird – und Keith Richards nicht nur ihre ersten gemeinsamen Auftritte, sondern machen auch Bekanntschaft mit Multiinstrumentalist Brian Jones, der selbst eine Bluesband gründen möchte.

Gemeinsam mit Bassist Dick Taylor, Keyboader Ian Stewart und (vermutlich) Schlagzeuger Tony Chapman feiern sie am 12. Juli 1962 im angesagten Marquee Club Premiere – als "Rollin' Stones", in Anlehnung an einen Song von Muddy Waters.

Der Auftritt im Marquee Club, wenn auch vom Publikum nur mäßig mit Applaus bedacht, legt den Grundstein für die lange Karriere der Rolling Stones, die tatsächlich allmählich ins Rollen kommt: Nach diversen kleineren Auftritten und einigen personellen Änderungen (Bill Wyman für Dick Taylor am Bass, Charlie Watts anstelle von Tony Chapman am Schlagzeug) heuern sie als Hausband des beliebten Crawdaddy Clubs in Richmond an.

Dort werden sie nicht nur von den Beatles bewundert, sondern auch von PR-Fachmann Andrew Loog Oldham (Bild), der 1963 neuer Bandmanager wird. Er versetzt Keyboarder Ian Stewart in die zweite Reihe, verpasst den Stones ein neues Image als böse guckende "Bad Boys" und "Anti-Beatles" und besorgt ihnen den ersten Plattenvertrag.

Ihre Debütsingle, ein Cover von Chuck Berrys "Come On", erreicht den 21. Platz, das von Paul McCartney komponierte "I Wanna Be Your Man" den 12. Platz der britischen Charts. Zwei weitere Coversongs ("It's All Over Now" und "Little Red Rooster") werden zu Nummer-eins-Hits in Großbritannien.

Auf Rat von Oldham beginnen Jagger und Richards schließlich damit, ihre Songs selbst zu schreiben – keine schlechte Idee, wie sich herausstellt: "The Last Time" wird 1965 ein großer Erfolg und spätestens mit "Satisfaction" gelingt den Rolling Stones auch international der Durchbruch.

"Mach du die Melodie, ich kümmer' mich um den Text": Die Songwriting-Partnerschaft zwischen Jagger und Richards – erst unter dem Pseudonym "Nanker/Phelge", dann als "Glimmer Twins" – bringt im Laufe der Jahre Hits wie "Sympathy for the Devil", "Gimme Shelter" und "Jumping Jack Flash" hervor.

Die Beatles lösen sich auf, die Stones machen immer weiter. Auch viele kleinere und größere Skandale können sie nicht davon abhalten: 1967 soll Jagger wegen illegalen Besitzes von vier Amphetamintabletten zunächst für drei Monate ins Gefängnis, kommt aber nach drei Tagen wieder frei.

Streitigkeiten zwischen Jagger und Richards gehören zum Alltag der Band – Mitte der 80er fetzen sich die beiden Bandleader aber ganz besonders, als Mick lieber seine Solokarriere vorantreiben möchte, anstatt mit Keith und Co. wieder auf Tournee zu gehen. Erst 1989 sind die Glimmer Twins wieder versöhnt.

Rebell auf der Bühne, Rebell auf der Leinwand: Neben seiner musikalischen Tätigkeit als Sänger und Songwriter tritt Jagger auch regelmäßig als Schauspieler in Erscheinung. In "Kelly, der Bandit" (1970) setzt er sich als Sohn irischer Einwanderer gegen die englischen Machthaber zur Wehr ...

... und im Filmdrama "Performance", das im selben Jahr in die Kinos kommt, spielt er einen polyamourösen Rockstar. Eine seiner Liebhaberinnen im Film (und womöglich auch abseits der Kameras): Anita Pallenberg, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich mit Keith Richards liiert ist.

Über die Jahrzehnte macht Mick Jagger in den Boulevardmedien mit vielen Liebesbeziehungen auf sich aufmerksam. Zwischen 1966 und 1970 ist er mit Marianne Faithfull liiert. Parallel beginnt er eine Beziehung mit der Schauspielerin Marsha Hunt, die 1970 Sohn Karis zur Welt bringt.

1971 heiratet Jagger die Menschenrechtsaktivistin Blanca Pérez-Mora Macías, mit der er eine Tochter hat.

Mit Model und Schauspielerin Jerry Hall ist Jagger zwischen 1977 und 1999 zusammen und ab 1990 in zweiter Ehe verheiratet. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder. 1999 und 2016 wird Jagger noch zwei weitere Male Vater.

Für seine "Verdienste um die populäre Musik" wird Jagger 2003 von Prinz Charles zum Ritter geschlagen – sehr zum Ärger von Keith Richards, der das für eine "Scheiß-Ehrung" hält. Jagger kontert: "Er ist wie ein heulendes Kind, das kein Eis bekommen hat."

"Ich wäre lieber tot, als mit 45 Jahren noch 'Satisfaction' zu singen." Diesen Satz sagte Mick Jagger 1975. Nun wird er 80 – und tourt noch immer durch die Welt. Vielleicht, weil ihm auch eines bewusst geworden ist: "In einer Fußballmannschaft kann man den Stürmer auswechseln. Aber für mich gibt's halt keinen Ersatz."

Stand: 26.07.2023, 00:00 Uhr