Seit Anfang des Jahres liegen Produkte mit einem neuen blau-weißen Tierschutzlabel in den deutschen Supermarktkühltruhen. „Für mehr Tierschutz“ steht auf dem Zertifikat, das vom Deutschen Tierschutzbund vergeben wird. Die Fleischprodukte, die das Logo tragen, garantieren bessere Haltungsbedingungen als gesetzlich vorgeschrieben: mehr Platz im Stall, mehr Auslauf und mehr Beschäftigung für die Tiere. Bei Masthühnern zum Beispiel ist Tageslicht im Stall Pflicht. Außerdem: Sitzstangen, Strohballen und Picksteine. Schweine haben mit 1,1 Quadratmeter Stallfläche pro Tier etwa ein Drittel mehr Platz als ihre Artgenossen in konventionellen Mastställen. Die „Tierschutz“-Ställe verfügen über Ruhe-, Fress- und Futterbereiche, und außer mit Bällen und Ketten können die intelligenten Allesfresser sich auch mit Futterautomaten und Strohpellets beschäftigen. Zertifizierte Höfe verzichten auf die Kastration von männlichen Ferkeln und ab Anfang 2014 auch auf das Kupieren der Ringelschwänze. Für alle Tiere, deren Fleisch nach den Richtlinien des Tierschutzlabels vermarktet wird, gelten vier Stunden als die maximale Transportdauer zum Schlachthof. Verstößt ein Landwirt gegen die Richtlinien, verliert er sein Zertifikat, versichert der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Thomas Schröder: „Von uns geschultes, aber unabhängiges Fachpersonal kontrolliert regelmäßig und unangekündigt, ob die Label-Kriterien eingehalten werden.“
Einstiegsstufe noch nicht streng genug
Das Tierschutzlabel ist zweigeteilt. Ein gelber Stern steht für die Einstiegsstufe. Die Premiumstufe mit zwei gelben Sternen hat deutlich höhere Tierschutz-Anforderungen: hier ist unter anderem noch mehr Platz und ein Außenbereich vorgeschrieben. Die Zweistufen-Lösung wurde gewählt, um den Landwirten den Umstieg in eine tiergerechtere Haltung zu erleichtern, so Schröder: „Das Wort ‚Einstiegsstufe‘ sagt es schon ganz klar: Es ist ein Einstieg. Das Tierschutzherz will wesentlich mehr, aber wir müssen Tierschutz in ein System hineintragen, das in vielen Teilen nah an der Tierquälerei ist. Durch die Umsetzung der Richtlinien der Einstiegsstufe schaffen wir zwar nur kleine Verbesserungen, aber eben trotzdem eine Soforthilfe für Millionen von Tieren in der Intensivtierhaltung.“ Rund fünfzig Hühnermast- und fünfzehn Schweinemastbetriebe sind bundesweit für das Programm zertifiziert. Nach Angaben von Wiesenhof, Deutschlands größtem Geflügelzüchter, werden pro Woche bereits etwa 160.000 Hähnchen verkauft, die nach den Label-Kriterien aufgezogen und geschlachtet wurden. In NRW beteiligt sich bislang noch kein Landwirt an dem Projekt.
Die Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes versprechen bessere Haltungsbedingungen. Bislang gibt es sie nur für Hühner- und Schweinefleisch. Ein Stern steht für die Einstiegsstufe, zwei Sterne für die Premiumstufe. Besonders die Premiumkategorie verspricht eine tiergerechte Haltung mit viel Platz, Auslauf, Einstreu und einer möglichst stressfreien Schlachtung.
Eine tiergerechte Haltung können Verbraucher auch von Produkten der Marke „Neuland“ erwarten. Dort wird Tierschutz von der Geburt bis zur Schlachtung berücksichtigt. Allerdings muss der Kunde für diese Produkte tief in die Tasche greifen, sie sind deutlich teurer als konventionelle Fleischwaren.
Der drittgrößte deutsche Fleischvermarkter Westfleisch verspricht mit der „Aktion Tierwohl“ ebenfalls bessere Haltungsbedingungen.
Auch das Logo „Nature and Respect“, das ebenfalls mit einer tiergerechten Aufzucht wirbt und bei Kaufland vertrieben wird, ist bei den Verbraucherschützern durchgefallen – wegen Intransparenz. Trotz mehrmaliger Anfragen erhielt Sabine Klein weder ausreichende Informationen über die Labelkriterien noch die Haltungsrichtlinien. Ein Knockout-Kriterium!
Die Haltungsbedingungen in der Fleischindustrie sollen sich verbessern
Kritik am Tierschutzlabel
Dass die Fleischindustrie bessere Haltungsbedingungen anstrebt, wäre eigentlich ein Grund zum Jubeln für alle Tier- und Verbraucherschützer. Doch nach der Einführung des Tierschutzlabels im Januar 2013 hagelte es erst einmal Kritik. Sabine Klein von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf betrachtet das Label hingegen "konstruktiv kritisch". "Schon die Einstiegsstufe verbessert die Tierhaltung gegenüber dem gesetzlichen Mindeststandard. Dieses Mehr an Tierschutz begrüßen wir, dennoch ist damit noch keine wirklich tiergerechte Haltung gewährleistet. Dazu ist sie einfach nicht streng genug. Unserer Ansicht nach gehört beispielsweise ein Auslauf zu einer tiergerechten Haltung..."
Zusammenarbeit von Tierschutzbund und Fleischindustrie
Angreifbar hat sich der Tierschutzbund aber nicht nur wegen der Kriterien für das Einstiegslabel gemacht, sondern vor allem deswegen, weil er eine ungewöhnliche Partnerschaft eingegangen ist. Gemeinsam mit dem in die Kritik geratenen Konzern „Wiesenhof“ und einem der größten deutschen Fleischproduzenten „Vion“ hat der Verein die Richtlinien für das Siegel erarbeitet. Die Fleischindustrie hat mittlerweile erkannt, dass die intensive Massentierhaltung beim Verbraucher nicht gut ankommt. Fleischvermarkter Vion sieht das Tierschutzlabel deshalb als Chance. Schließlich wolle man auch in Zukunft noch Fleisch verkaufen. „Mit dem Label wollen wir überprüfen, ob der Verbraucher wirklich bereit ist mehr Geld für mehr Tierschutz auszugeben.
Immerhin kostet unser Label-Schweinefleisch deutlich mehr“, sagt Dr. Heinz Schweer, der Tierschutzbeauftragte von Vion. Der Fleischproduzent versteht das Pilotprojekt als Qualitätsoffensive – und sieht sich bestätigt durch das große Interesse bei Handel und Verbrauchern.
Sabine Klein von der Verbraucherzentrale in Düsseldorf erklärt Yvonne Willicks ihre Eindrücke
Tierschutz-Fleisch im Supermarkt: Mangelware
Sabine Klein von der Verbraucherzentrale in Düsseldorf zeichnet ein ganz anderes Bild. Bei einer Händlerbefragung zum Tierschutzlabel im Sommer 2013 fand sie zusammen mit ihren Kollegen heraus, dass das Fleisch in Nordrheinwestfalen noch lange nicht flächendeckend erhältlich ist. Zwar beteiligen sich fast alle großen Händler an dem Projekt, oft aber nur in einigen wenigen Filialen. Mit dabei sind Kaiser's-Tengelmann, Rewe, Edeka, Lidl, Famila, real, Karstadt und Hit.
Die Preise für die Label-Produkte sind deutlich höher als die der konventionellen Pendants. Das Schweinefleisch kostet etwa dreißig bis vierzig Prozent mehr, das Hühnerfleisch sogar bis zu fünfzig Prozent - ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der Verbraucher vorwiegend preisorientiert einkauft. Das ist der Grund dafür, warum mehr als 95 Prozent der Fleischprodukte, die im Handel verkauft werden, aus Massentierhaltung stammen.
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Anständig essen: Ein Selbstversuch
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Autorin: Stefanie von Drathen