Ton Steine Scherben

Ton Steine Scherben waren eine der politischsten Bands der Nation - mit radikalen Texten und hartem Rock'n'Roll sorgten Rio Reiser und Co. immer wieder für Denkansätze, Skandale und Gesprächsstoff. Mitte der Siebziger zogen sie aufs Land und zeigten, dass sie mehr als Polit-Rocker waren.

"Macht kaputt, was euch kaputt macht!" Dieser Schlachtruf, der bis heute auf Häuserwände gesprüht wird, ist der Titel der ersten Single von Ton Steine Scherben. Nachdem sie zunächst gemeinsam in einer Coverband gespielt haben, gründen Rio Reiser (Gesang, Gitarre, Keys), und R.P.S. Lanrue (Gitarre) gemeinsam mit Wolfgang Seidel (Drums) und Kai Sichtermann (Bass) 1970 in Berlin Ton Steine Scherben. Ihr Sound: Rock'n'Roll und Psychedelic Rock mit Einflüssen von Blues und Folk. In seinen Texten nimmt Rio Reiser kein Blatt vor den Mund und kritisiert deutlich die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Soziale Ungleichheit, Polizeigewalt und Immobilien-Firmen sowie korrupte Politiker bekommen allesamt ihr Fett ab, und Ton Steine Scherben werden zum Sprachrohr nicht nur der Berliner Hausbesetzer-Szene, sondern vieler links denkender Menschen des Landes.

Ihre erste Single lassen sie von zwei bekannten Berliner Raubkopierern vertreiben. Gleich bei ihrem ersten Auftritt beim "Love and Peace"-Festival auf der Insel Fehmarn, gesponsert von Beate Uhse, sorgen Ton Steine Scherben für Aufsehen: Nachdem sie erfahren, dass die Veranstalter sich mit den Einnahmen aus dem Staub gemacht haben, rufen sie das Publikum dazu auf, es den Veranstaltern heimzuzahlen. Ergebnis: Das Veranstaltungsbüro brennt ab, genau wie die Bühne.

Kurz darauf gründen sie ihr eigenes Label. David Volksmund Produktion wird eines der ersten deutschen Indie-Labels überhaupt. Die Band verweigert sich komplett gegenüber der Musikindustrie, was dazu führt, dass die Scherben trotz ausverkaufter Konzerte nie zu Geld kommen. Ihre kompromisslos antikapitalistische Haltung steigert die Beliebtheit der Scherben, ihr Frontmann Rio Reiser wird zur Projektionsfläche politisch links eingestellter Menschen. Nach einem Konzert an der Technischen Universität in Berlin besetzt die Band gemeinsam mit Fans das leerstehende Bethanien-Krankenhaus in Kreuzberg. Im Gedenken an einen von Polizisten erschossenen Studenten taufen sie das Bethanien in Georg-Von-Rauch-Haus um. Auf ihrer zweiten Platte "Keine Macht für Niemand" verewigen die Scherben diesen Moment mit dem "Rauch-Haus-Song", bis heute eine Hymne, nicht nur der Hausbesetzer-Szene.

Mitte der Siebziger hat die Band ihre Verkultung langsam satt und zieht auf einen alten Bauernhof in Nordfriesland. Das Geld ist knapp, die Bandmitglieder hungern, also zieht ein Teil der Scherben bald wieder zurück nach Berlin, nicht aber Rio Reiser. Der musikalische und inhaltliche Stil der Band ändert sich in den Folgejahren, die Texte werden persönlicher, der Sound komplexer - Jazzeinflüsse und Soundexperimente halten Einzug in die Scherben-Welt. Rio Reiser spielt in "Johnny West" eine Filmrolle und gewinnt damit den Bundesfilmpreis.

1981 kommt die von der Kritik gelobte Platte "IV" heraus, ab 1982 ist Claudia Roth, spätere Bundesvorsitzende der Grünen, Managerin der Band. Die Scherben spielen nun öfter bei Protesten gegen Atomkraftwerke, die alten Fans werfen ihnen vor, sich dem Mainstream anzubiedern. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Konzerte sind zwar weiter ausverkauft, doch die Alben verkaufen sich nicht gut. 1985 spielen Ton Steine Scherben ihr vorerst letztes Konzert und lösen sich hoch verschuldet auf. Rio Reiser startet eine erfolgreiche Solokarriere mit Hits wie "Junimond" und "König von Deutschland", doch stirbt 1996 viel zu früh mit 46 Jahren. Seitdem gab es mehrere Wiederbelebungsversuche und Reunions der Band.

Der Einfluss von Ton Steine Scherben auf die Musikszene in Deutschland ist enorm. Sowohl NDW- als auch Punk-Bands und diverse Liedermacher, HipHop-Künstler und Bands aus der Hamburger Schule beziehen sich immer wieder auf Ton Steine Scherben und Rio Reiser.