Man kann den Alltag nicht negieren. Aber mit einer schönen Akkordfolge immerhin sehr bewusst und sehr vorübergehend ausblenden. So und nicht anders geht das Credo, auf dessen Grundlage Mercury Rev seit Ende der 1980er-Jahre sanft ihre Songs in die Welt schubsen. Wer die Band aus Buffalo, New York, wertschätzt, der fühlt sich im Eskapismus zu Hause. Und hat zuweilen auch Spaß, sich darin zu suhlen. Kann denn Süße Sünde sein? Auf diese Frage hat die Band seit vielen Jahren eine eindeutige Antwort: Nö. Zuckerwatte rules!
Eine ganze Badewanne voller Harmonien haben Mercury Rev auf Lager, wenn sie mit ihrem Psychedelic Pop loslegen. Wuchtige Synthie-Wände gehören zur ihrer Kernkompetenz, und Gefühlskino für die Ohren im Cinemascope-Format ist auf jedem ihrer Alben zu haben. Am besten kann man das auf „Deserter’s Songs“ erleben, ihrem Meisterwerk aus dem Jahr 1998. Die Allianz, die der kreative Nukleus der Band dort eingeht, befördert die Vokabel „herzzerreißend“ in eine neue Dimension. Weil Sean „Grashopper“ Mackowiak dem falsettierenden Gesang seines Songschreiber-Kompagnons Jonathan Donahue stets ein warmes Gitarrenbettchen baut. „Bands, those funny litte plans, that never work quite right“, singt Jonathan Donahue in „Holes“. Und auch mit „Goddess On A Hiway“ zeigen die Musiker, was sie sind: auf dem Seerosenteich der Befindlichkeiten einfach verdammt erfahrene Landschaftsgärtner.
Dass Mercury Rev diesen Job noch immer hervorragend machen, zeigt sich auf „Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited“. Auf dem Album aus dem Jahr 2019 covert die Band Songs der amerikanischen Countrypop-Sängerin Bobbie Gentry und lässt dafür unter anderem Hope Sandoval von Mazzy Star und Laetitia Sadier von Stereolab ans Mikro. Möge die Singende Säge, die Mercury Rev fest in ihrem Klangkosmos verankert haben, noch lange erklingen. Bisher hat sie noch jeden Inspektionstermin mit Bravour überstanden.
