Zwei Pilgerinnen stehen im Treppenhaus des  Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums

Pilger in Bonn sehnsüchtig erwartet

"Sie kommen! Juchhu!"

Stand: 16.08.2005, 11:46 Uhr

Kein Fest ohne Stress: Jede Party kostet Nerven, ein Megaevent wie der Weltjugendtag erst recht. Dass es am nervigsten ist, wenn gar nichts passiert, erfuhren die Quartiermacher vom Bonner Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium.

Von Marion Kretz-Mangold

Eine typische Handbewegung? Auf die Uhr gucken und dann zum Handy greifen. Sven Müller telefoniert im Augenblick eigentlich ständig. Listen sortieren, anrufen, Klopapier besorgen, anrufen, noch ein "Willkommen"-Schild aufhängen, wieder anrufen. Sven Müller, "Objektleiter" im Bonner Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium, wartet auf den großen Ansturm der Pilger, die hier ihr Nachtquartier beziehen sollen. Aber der Ansturm bleibt aus. "Ich dachte, das geht um drei Uhr los hier", mault der 18-Jährige leise und beißt in seinen Hamburger, der schon ziemlich kalt aussieht. Jetzt ist es bald vier Uhr - und in der Pfarrei "Maria Magdalena", wo die Pilger sich registrieren lassen sollen, wissen sie auch nicht mehr.

"Viel Spaß im Stress"

Sven Müller telefoniert mit seinem Handy

"Spaß im Stress": Sven Müller

530 Vietnamesen, Franzosen und Spanier haben die Organisatoren in Köln der "EMA" zugewiesen. So ist jedenfalls in der "PISO" nachzulesen, der offiziellen Pilgersoftware. Das kann sich aber schnell ändern, hat Sven gehört, und deswegen ist er sehr gespannt, wer kommt - wann auch immer. Wochenlang hat der Abiturient mit vielen Helfern auf diesen Tag hingearbeitet. Den Tag, an dem die Schule aus dem Ferienschlaf geweckt und in ein riesiges Pilgerlager verwandelt würde. Freiwillige suchen, eine Ersthelfer-Ausbildung machen, die Quartiere von den WJT-Organisatoren abnehmen lassen: "Ich habe nicht gewusst, dass das soviel Arbeit sein würde", sagt er, schiebt aber nach, dass er auch "viel Spaß im Stress" habe.

Von Stress kann allerdings gerade keine Rede sein. In der Pfarrei geht niemand ans Telefon; also zeigt er die leer geräumten Klassenzimmer, die Turnhalle, wo Mitschüler 'Welcome' in Großbuchstaben an die kahle Wand pinnen, die Paletten mit Gemüsesalat in Dosen und Fruchtjoghurt: Proviant für die Pilger. Der reicht aber nur für 288 Leute, "und jetzt darf ich mich mit der Lieferfirma rumstreiten." Aber gut, beim letzten Weltjugendtag war's schlimmer: "In Paris war nichts organisiert, nichts. Da habe ich unterm Eiffelturm geschlafen."

Drei Vietnamesinnen allein in Bonn

Und nicht zu vergessen Toronto! Cosima war damals dabei und versucht Sven zu beruhigen, der sich Sorgen um die Waschgelegenheiten macht: "Da gab's für 500 Leute eine Dusche, das ging auch." Sven bleibt skeptisch, geht aber wieder telefonieren, während Cosima schnell zwei Schilder an die Waschraumtür pinnt - "damit es bloß keine Verwechslung gibt". In der Pfarrei läuft die Mailbox, dafür steht ein ganz kleines Häuflein verloren in der Pausenhalle: drei Vietnamesinnen, die sich allein auf den weiten Weg nach Bonn gemacht haben und jetzt ihre Gruppe suchen. Irgendwo muss sie doch sein? Diesmal kommt Sven durch: "Ich habe hier drei Vietnamesinnen. - Zu euch schicken? - Okay, ich zeig ihnen die Haltestelle." Wo die Landsleute sind? Weiß niemand. Die Frauen lächeln trotzdem, Sven sieht auf die Uhr: Schon nach vier.

"In der Pfarrei geht es hoch her"

Nein, er wird wohl nicht viel vom Weltjugendtag mitkriegen, erzählt Sven beim Warten. "Ich muss rund um die Uhr hier sein." Aber am Sonntag, wenn die Pilger zum Marienfeld gezogen sind und die Putzkolonnen da waren, dann geht er auch zum Papst-Gottesdienst. "Und nächste Woche schlafe ich aus, da haben die Lehrer schon Verständnis". Wieder ein Blick auf die Uhr - nichts. Dafür kommt der Hausmeister vorbei, bietet noch ein paar Luftmatratzen an, "für alle Fälle".

Die Vietnamesinnen stehen plötzlich wieder vor der Tür, unregistriert, und werden mit Stadtplan zurückgeschickt. Und dann erzählt jemand, "in der Pfarrei geht es hoch her, da sind gerade Franzosen angekommen." Schnell aufräumen, mehr Klopapier besorgen, es schadet auch nichts, den Auszug aus dem Jugendschutzgesetz aufzuhängen. Um kurz nach fünf endlich der Anruf: "Sie kommen! Juchhu!"

Begeisterung in der Turnhalle

Und dann schlappen die Vietnamesen herein, mit enormen Rucksäcken, Flipflops und erwartungsvollen Gesichtern. Durchzählen, nach Männern und Frauen trennen - 22 waren angekündigt, gekommen sind 26. Und warum reden sie so schnelles Amerikanisch? Sven hat keine Zeit, darüber nachzudenken: Die Männergruppe muss in die Turnhalle. Die folgt ihm, blendend gelaunt und ohne eine Spur von Jetlag: "Aaah", machen sie begeistert, als er ihnen die dicken Turnmatten zeigt, "Ooh", als sie die Duschen sehen. In der Ecke rechts hinten werden sie wohnen, beschlossene Sache. Die Rucksäcke runter, Schuhe aus, die kleine US-Flagge gut wegstecken. Die Vietnamesen sind amerikanische Vietnamesen und kommen nach einer Sightseeing-Tour aus Berlin, haben jetzt eine Irrfahrt und einen Fußmarsch hinter sich und sind einfach nur froh, endlich angekommen zu sein. "Manchmal wussten wir nicht, wo wir sind", erzählt Paul Minh-Quan Trieu. "Erst in Berlin, beim Weltjugendtagstreffen, haben wir wirklich empfunden, auf dem richtigen Weg zu sein." Ins Rheinland sind sie gekommen, um den Papst zu begrüßen, Freundschaften zu schließen, neue Erfahrungen zu machen. Jetzt müssen sie aber erstmal herausfinden, wo am Abend der Bonner Eröffnungsgottesdienst stattfindet, lacht er: "Wir sind ja Pilger, wir haben keine Ahnung".

Der Akku ist leer

In der Turnhalle wird es allmählich voll. Landsleute - diesmal deutsche Vietnamesen aus Stuttgart - werden mit viel Hallo empfangen und beziehen in der anderen Ecke Quartier. Die drei Vietnamesinnen sind noch nicht aufgetaucht, kommen vielleicht später. Sven nimmt jetzt alles sehr gelassen. Er sitzt mit den anderen Helfern in der Pausenhalle und sieht zufrieden aus: "Die ersten sind da, es klappt alles, wunderbar. Fehlen nur noch die Spanier und die Franzosen." Den Pilgern telefoniert er nicht mehr hinterher. Sein Akku ist eh längst leer.