Besucher sitzen in Berlin während einer Vorlesung des Kongresses re:publica im Friedrichstadtpalast

Social-Media Konferenz Republica in Berlin

Hat der Netzaktivist ein Imageproblem?

Stand: 14.04.2011, 15:27 Uhr

Onlinetäter, Datenkrake, Cybermobbing: Mit Begriffen, die jeder kennt, wird das Internet als Ganzes schlechtgemacht, sagen zwei Referentinnen auf der Internet-Konferenz Republica. Sie fordern eine PR-Strategie für die digitale Gesellschaft.

Von Insa Moog

Datenkrake, damit kann eigentlich nur Facebook oder Google gemeint sein. Das hat mit Internet zu tun. Und ist etwas Schlechtes. Eine Datenkrake könnte theoretisch auch ein Verlag oder eine Kaufhauskette sein, die Informationen zu ihren Kunden sammelt. Aber niemand würde in diesem Zusammenhang die "Datenkrake" anführen.

"Wake the Blog - von Datenkraken und Internettätern", so ist die Veranstaltung betitelt, die am Donnerstag (14.04.2011) das Republica-Programm in der Berliner Kalkscheune eröffnet. Im Publikum sitzen Blogger, Twitterer, Journalisten: Menschen, die sich für das Internet und die "digitale Gesellschaft" interessieren und Teil von ihr sind. Die Republica ist eine Konferenz, bei der es um "ihre" Themen geht. "Ihr seid alle Netzaktivisten", sagt Carolin Neumann. "Denn so stand es in der Online-Ausgabe einer Zeitung: Republica, Konferenz der Netzaktivisten", ergänzt die Journalistin, Bloggerin, Mitgründerin der "Digital Media Women" Hamburg.

Neumann steht auf dem Podium, neben ihr Kulturwissenschaftlerin und Social Media Strategin Sanja Stankovic. Gemeinsam erklären sie, warum die digitale Gesellschaft eine PR-Strategie braucht.

"Netzaktivist" statt Wissenschaftler

"Warum wird Michael Seemann, auf Twitter bekannt unter dem Namen 'MS Pro', als Gast einer Talkshow erst als Journalist und Kulturwissenschaftler betitelt, später aber nur noch als Blogger und Internetaktivist?", fragt Neumann ins Publikum. "Was ist ein Internet-Aktivist? Jemand, der 'nur im Netz aktiv ist', eine nicht so hochwertige Art von Aktivist?"

Um die Macht von Sprache soll es gehen. Neumann und Stankovic wollen dafür sensibilisieren, was es bedeutet, Dinge mit Wörtern zu bezeichnen, die etwa durch starke Bilder das Verständnis einer ganzen Gesellschaft prägen. "Viele denken ja: Wir wissen, wie wir diese Begriffe zu nehmen haben. Wir wissen, was dahinter steckt. Anders ist das bei denen, die nicht so netzaffin sind, bei denen laufen automatisch Prozesse im Kopf ab." Und das, sagt etwas später Sanja Stankovic, seien nicht selten Politiker. "Die warnen dann mit Flyern an der Schule meiner Tochter vor Internetkriminalität."

Sprache hat Auswirkung, schon einzelne Worte könnten hochmanipulativ wirken. Und viele Begriffe, in denen "Internet" vorkommt, sind schlicht negativ besetzt. Menschen, die sich nie mit Internetthemen auseinandersetzen, kennen dennoch meist die Ausdrücke: Onlinetäter, "Internet als rechtsfreier Raum", Internetmobbing oder -kriminalität, Datensammler oder -krake. Die Internetgemeinde - eine Sekte? Was mag da ein nur ein "Netzaktivist" sein, ein Streiter für die Datenkrake, ein Feind des behüteten Bürgers, der sich um seine Privatsphäre sorgt?

Von Atomkraft zu Kernenergie

"Als die Atombranche ein Imageproblem bekam, suchte sie nach einer neuen Bezeichnung: Aus Atomkraft wurde Kernenergie. Energie ist ein sehr positiv besetzter Begriff." Wenn man bei Wikipedia "Atomkraft" eingebe, werde man auf "Kernenergie" weitergeleitet, hat Stankovic beobachtet.

Facebook ist nicht einfach Facebook, sondern die Datenkrake. Der Begriff wird sogar synonym verwendet, anstelle etwa von "Unternehmen", haben Stankovic und Neumann festgestellt. "Daten sind wie Protokolle, Fingerabdrücke. Und eine Krake? Sie hat mehr Arme als der Mensch. Sie ist unersättlich, eklig, nicht fassbar." Noch viel mehr assoziative Begriffe zum Wort "Krake" werden per Beamer auf die Leinwand neben Stankovic projiziert. "Wir haben zwangsläufig Angst davor, wenn beides zusammengeführt wird zu Datenkrake." Das Problem sei, dass die digitale Gesellschaft ausgeliefert sei und sich gegen diese Art von Nahezuverunglimpfung nicht wehre. PR könne helfen, Worte positiv zu besetzen, nicht manipulativ. "Wir brauchen einen Zusammenschluss, der das in die Hand nimmt. Denn das Netz besteht aus wesentlich mehr als nur aus Bloggern."

Lobby für die digitale Gesellschaft

Markus Beckedahl, Republica-Organisator und Netzpolitik-Blogger, der personifizierte und vielleicht beliebteste "Netzaktivist" der Medien, habe das inzwischen ja bereits getan. Mit der "Digitalen Gesellschaft" hat Beckedahl einen Verein gegründet, der am Mittwoch (13.04.2011) zum Start der Republica vorgestellt wurde: Eine Interessenvertretung, die "gesellschaftliche Mehrheiten für eine bessere Netzpolitik schaffen will", wie es Beckedahl nennt.

"Der Diskurs ist bisher ja auch noch gar nicht geführt worden", sagt Neumann. Noch seien viele Fragen offen, etwa die, was man als jemand, den andere Netzaktivist nennen würden, selbst tun kann oder sollte. "Habt ihr denn ein Wiki aufgesetzt, in dem man Synonyme findet, die man besser verwenden sollte?", fragt jemand aus dem Publikum im Anschluss an den Vortrag.

Es gibt "nichts zu verstecken"

Nein, das haben die beiden nicht. "Journalisten brauchen eine blumige Sprache, da muss man ihnen schon etwas anbieten", sagt ein anderer. "Aber Journalisten wissen auch genau, was sie tun", kontert Stankovic. Viele Leser fühlten sich später vom Internet wirklich bedroht. Die Negativbeispiele von Stankovics Präsentation schließen Blätter wie die "Süddeutsche Zeitung", die "taz" ("Die Tageszeitung"), "Bild" oder die "Stuttgarter Nachrichten" ein: Von der "Datenkrake" zum "Cybermobbing" - alle Zeitungen führen die Schlagwörter auch in den Schlagzeilen.

Stankovic sagt schließlich, was sie und Mitstreiterin Neumann nicht wollen: eine eigens inszenierte Kampagne. "Die digitale Gesellschaft hat nichts zu verstecken oder schönzureden wie die Atomlobby." Und außerdem wolle man die analoge Gesellschaft schließlich auch nicht diskriminieren und so die Vorurteile auf beiden Seiten vertiefen. Zum Beispiel mit Gegenbegriffen wie "Internetausdrucker". Internetausdrucker sind die, die anfangs dachten, man könnte alle Netzinhalte für einen Überblick mal ausdrucken.

Der Diskurs ist gerade erst eröffnet.