Analyse: Die Frühphase des Wahlkampfs - Nervöse Kandidaten und laue Themen
Stand: 29.03.2012, 17:13 Uhr
Seit zwei Wochen ist Wahlkampf in NRW. Und der entwickelt sich anders, als so mancher geglaubt hat. Themen spielen bislang weniger eine Rolle, dafür aber Personalien. Die handelnden Personen sind spürbar nervös. Es hat Fehler gegeben, Unsicherheiten und sogar einen kleinen Skandal.
Von Rainer Kellers
Hannelore Kraft mit offenem Schädel, aus dem Luftblasen steigen - ist das der Beginn eines Schmuddelwahlkampfs im Internet? Die Bilder sorgten auf Facebook in dieser Woche für Aufregung. Am Mittwoch (28.03.2012) berichtete dann das "Handelsblatt", eine Werbeagentur, die einem ehemaligen Sprecher Angela Merkels gehört, habe die verunglimpfende Bilderserie produziert. Die NRW-CDU, die verdächtigt wurde, beteiligt zu sein, distanziert sich von der Kampagne und erwägt sogar, juristisch dagegen vorzugehen. Nein, schmutzig soll es nicht zugehen im Wahlkampf.
Nach Ostern beginnt die heiße Phase
Doch was ist das für ein Wahlkampf, der vor zwei Wochen wie aus heiterem Himmel begann? Das lässt sich noch nicht eindeutig sagen. Alle Parteien haben damit zu kämpfen, sehr kurzfristig Kandidaten, Programme und Strategien aufstellen zu müssen. Nach dem Parteitagsmarathon am kommenden Wochenende (30.03.2012 bis 01.04.2012) wird es vermutlich erst einmal ruhiger werden, bis dann nach Ostern die heiße Phase des Wahlkampfs beginnen wird. Die Frühphase aber hat bereits eines gezeigt: Es geht weniger um Themen als um Personen.
CDU: Ein Kandidat mit einem Problem
Besonders augenfällig ist das bei der CDU. Bei ihr konzentriert sich die Aufmerksamkeit sehr stark auf Norbert Röttgen. Dieser hat zwar unmittelbar nach Auflösung des Landtags versucht, thematisch in den Wahlkampf einzusteigen und die "Schuldenpolitik" der Regierung anzuprangern. Später legte er nach und präsentierte mit Friedrich Merz einen Mann für die Wirtschaft. Doch wo immer Röttgen auch auftrat, immer musste er sich die Frage nach seiner Zukunftsplanung gefallen lassen. Bis heute hat er nicht gesagt, ob er auch als Wahlverlierer in Düsseldorf bleibt oder nicht.
Diese Unsicherheit ist für die CDU zur Belastung geworden und schmälert auch in den Augen der eigenen Basis die Chancen auf den Wahlsieg. Dass Röttgen zudem in einem Wahlkreis antritt, in dem er es mit einem sehr starken Gegner von der SPD zu tun bekommt, hat noch mehr Misstrauen ausgelöst. Bei den letzten beiden Landtagswahlen haben die siegreichen CDU-Direktkandidaten alle der Union zustehenden Plätze im Landtag erobert. Die Parteiliste hat nicht gezogen. Ohne Landtagsmandat kann Röttgen aber nicht Ministerpräsident werden. Will er etwa gar nicht?
SPD: Hannelore Kraft ist nervös geworden
Slogan und Plakat auf Kandidatin zugeschnitten
In der SPD schaut man insgeheim mit Schadenfreude auf die missliche Lage des CDU-Kandidaten. Für die eigene Spitzenkandidatin Hannelore Kraft hätte der Wahlkampf nicht besser beginnen können. In Umfragen schmiert die CDU ab, und die eigene Partei schwingt sich in ungeahnte Höhen um die 40 Prozent auf. Kraft verfügt über den Amtsbonus, setzt ihn aber auch geschickt ein. Wo immer man sie trifft, ist sie guter Dinge, lächelt, ist charmant. Einen Coup hat sie mit dem Thema Solidarpakt gelandet. Mehr Geld für den Westen, das kam an bei den Wählern. Da spielte es auch keine Rolle, dass sich bis 2019 ohnehin nichts ändern wird.
Es lief bislang also ganz gut für die SPD, doch als Favorit lebt man riskant. Auch das hat der kurze Wahlkampf gezeigt. In der Talkshow "Markus Lanz" verhaspelte sich die Ministerpräsidentin ausgerechnet bei der Frage nach ihrer politischen Zukunft. Seitdem steht der Verdacht im Raum, dass sich Kraft in die Bundespolitik verabschieden könnte - was sie heftig dementiert. Kraft ist nervös geworden. Ihr Vorgänger Jürgen Rüttgers hat 2010 einen komfortablen Vorsprung verspielt. Daran erinnert sich Kraft genau, und so ist auch ihre überhastete Reaktion am Mittwoch (28.03.2012) zu erklären. Die Grünen hatten ein Tempolimit ins Spiel gebracht, und Kraft beeilte sich via Twitter festzustellen, dass es das mit ihr nicht geben werde. Der eigene Verkehrsminister hatte da schon mitgeteilt, dass gerade an einem Pilotprojekt zum Tempolimit gearbeitet werde. Am Donnerstag (29.03.2012) kam dann ein Thema auf, das bei aller Tragik Kraft helfen könnte, von der unangenehmen Tempolimit-Debatte wegzukommen: das Aus für die geplante Auffanggesellschaft für die Schlecker-Beschäftigten. Kraft kündigte umgehend eine Vermittlungsoffensive für die Mitarbeiter an. Jetzt kann sich die Ministerpräsidentin wieder als Kümmerer zeigen.
Das Schwächeln der Grünen
Apropos Tempolimit: Für die Grünen war es der erste große Aufreger. Bis dahin lief der Wahlkampf weitgehend an der Partei vorbei. Es fällt den Grünen offensichtlich schwer, Akzente zu setzen. Die Atomdebatte, die der Partei noch vor einem Jahr einen wahren Höhenflug bescherte, ist beendet. Castortransporte wird es in NRW vorerst nicht geben. Und das Hauptthema der Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann, die Schulpolitik, ist mit dem Schulkompromiss bereits weitgehend abgearbeitet. Löhrmann wird gemeinhin als sympathisch beschrieben, in der Regierung aber war sie eben nur die Nummer zwei. "Es ist schwer, Aufmerksamkeit zu bekommen", stöhnt ein Grüner. Und die Landesvorsitzende Monika Düker beklagt, dass sich das mediale Interesse bislang vor allem auf Röttgen und Kraft konzentriere. "Bei einer Landtagswahl findet keine Direktwahl des Ministerpräsidenten statt", sagt eine leicht genervte Vorsitzende.
Die Piraten machen neugierig
Das Schwächeln der Grünen nützt den Piraten. Die Partei muss sich um fehlende Aufmerksamkeit keine Sorgen machen. Als aussichtsreiche Neulinge, die in vielerlei Hinsicht anders sind als die Etablierten, stellt sich das öffentliche Interesse zwangläufig ein - bei Medien und Wählern. Da schadet es auch nicht, dass mit Joachim Paul ein völlig Unbekannter zum Spitzenkandidaten gewählt wurde. Im Gegenteil: Es macht erst recht neugierig. Neue Themen allerdings, vielleicht sogar landespolitisch relevante, hat man von den Piraten kaum gehört. Auf mehreren Parteitagen sind sie bis auf Weiteres mit sich selbst beschäftigt.
FDP: Letzte Hoffnung Christian Lindner
Hoffnungsträger Christian Lindner
Starke Themen hat auch die FDP nicht. Aber die Liberalen haben Christian Lindner. Und der ist ein echtes Pfund. In Umfragen hat er die geschrumpfte Partei aus dem Stand auf vier Prozent gehievt. Viele trauen Lindner zu, die FDP auch noch über die Fünf-Prozent-Hürde zu tragen. Ausgeschlossen ist das nicht. Lindner jedenfalls ist für die Freidemokraten die einzige Hoffnung. Ob den NRW-Liberalen das Scheitern der Transfergesellschaft für Schlecker mit angelastet wird, ist offen. Auch Lindner hatte sich gegen Bürgschaften der Länder ausgesprochen.
Die Linken fühlen sich unterschätzt
Katharina Schwabedissen, eine von drei Spitzen
Bleiben noch die Linken. Von ihnen ist im Wahlkampf fast nichts zu hören. Einen starken Kandidaten wie im Saarland kann die Partei in NRW nicht aufbieten, stattdessen ein Dreierteam mit wenig bis gar nicht Bekannten. Die Themen sind dieselben wie schon immer: Sozialticket, Millionärssteuer, soziale Gerechtigkeit. Bewahrheiten sich die Umfragen, fliegen die Linken nach nur knapp zwei Jahren wieder aus dem Landtag. Noch gibt sich die Partei aber gelassen. "Warten Sie mal ab", sagt Wahlkampfmanager Hubertus Zdebel. "Wir werden immer schlechter gehandelt, als wir sind." Mit großem Einsatz auf den Straßen will die Partei nach Ostern wieder Boden gutmachen. Aber da sind sie nicht die Einzigen.