Italienischer Autor über die Mafia
"Das ist kein rein italienisches Problem"
Stand: 05.09.2007, 23:26 Uhr
Der Italiener Roberto Saviano hat mit einem Buch über die Camorra, dem neapolitanischen Zweig der Mafia, Aufsehen in Italien erregt. Zum Erscheinen der deutschen Ausgabe war Saviano in Berlin. WDR.de hat mit ihm gesprochen.
WDR.de: Herr Saviano, als in Duisburg der sechsfache Mord begangen wurde und heraus kam, dass diese Morde von der Mafia begangen wurden, konnte man es erst kaum glauben. Ist in Deutschland das Problem der Mafia unterschätzt worden?
Roberto Saviano: Ich glaube, dass die Polizei hier lange geglaubt hat, dass das Problem eigentlich ein rein italienisches ist. In der Realität ist es aber schon lange nicht mehr so. In Ostdeutschland beispielsweise hat die Mafia nach der Wende sehr viel in normale Geschäftsbereiche investiert, wie beispielsweise in die Textilbranche und in den Tourismus. Im Westen ist das Problem eher der Drogenhandel. Viele Firmen, die Lebensmittel exportieren oder importieren, werden für den Drogenhandel genutzt. Es gibt eine Vielzahl von Geschäftszweigen, die längst korrumpiert sind
WDR.de: Ist es Zufall gewesen, dass die Mafia-Killer in Duisburg zugeschlagen haben oder weist die Tat darauf hin, dass die Organisation in der Region verstärkt aktiv ist?
Saviano: Die kalabresische Anti-Mafia-Einheit weiß schon seit langer Zeit, dass die Clans aus San Luca sich in Duisburg angesiedelt haben. Inzwischen ist Duisburg ureigenes Territorium der 'Ndrangheta. Deshalb ist dieses Verbrechen dort passiert. Ansonsten finden solche Verbrechen nicht im Ausland statt. Die Clans investieren natürlich im Ausland, aber meist sehen sie diese Orte nicht als ihre Territorien an, sondern als Orte, um Geschäfte zu machen. Duisburg ist aber zu ihrem Gebiet geworden, zu einem Ort, den sie unter Kontrolle haben.
WDR.de: Kann man bei dieser Tat tatsächlich von einer Familienfehde ausgehen oder stecken Verteilungskämpfe hinter den Morden?
Saviano: In Deutschland denkt man immer noch, dass man zwischen Familienstreitigkeiten und wirtschaftlichen Interessen eine Unterscheidung machen muss. Das stimmt aber so nicht. Es sind natürlich Familien, die da aufeinander losgegangen sind. Aber sie gehen aufeinander los, weil sie handfeste wirtschaftliche Interessen haben. In San Luca, dem Ort, aus dem ja die meisten Opfer stammten, geht es darum, dass ein Clan immer noch mit Schutzgelderpressung und Entführungen sein Geld machen will. Ein anderer will aber nur noch mit Kokain handeln. So stehen sich quasi zwei Geschäftsvisionen gegenüber, die unvereinbar sind und dann in solchen Massakern enden.
WDR.de: Sie führen in Ihrem Buch aus, dass immer mehr Frauen bei den Mafia-Organisationen die Macht inne haben.
Saviano: Die Frauen spielen tatsächlich keine untergeordnete Rolle mehr. Ein gutes Beispiel ist Immacolata Capone, die vor zwei Jahren erschossen wurde. Sie trat nach der Ermordung ihres Mannes die Führung ihres Clans an. Sie hatte alles unter Kontrolle, und die Mafia-Bosse aus den umliegenden Gebiete wollten unbedingt mit ihr ins Geschäft kommen, weil sie von ihrer Geschäftstüchtigkeit profitieren konnten. Vor zwanzig Jahren wäre das undenkbar gewesen. Was vielleicht ein Unterschied zu den Männern ist: In den Clans, die von Frauen kontrolliert werden, wird dem unternehmerischen Zweig sehr viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem militärischen. In Punkto Grausamkeit sind die Frauen den Männern aber trotzdem in keinster Weise unterlegen
WDR.de: Sie haben versucht, ein wenig Licht in das Dickicht der mafiösen Strukturen zu bringen. Wie könnte man Ihrer Meinung nach die kriminellen Vereinigungen am erfolgreichsten bekämpfen?
Saviano: Wenn sich etwas ändern soll, dann sind es die Mechanismen, die in der Wirtschaft herrschen. Denn so wie die Wirtschaft momentan strukturiert ist, erlaubt sie letztendlich, dass Mafia-Organisationen am Ende als Gewinner da stehen. Deshalb muss man sich anschauen, wie beispielsweise die Vergabe von Aufträgen oder Investitionspraktiken funktionieren. Ich könnte jetzt auch antworten, dass man mehr Lehrer einstellen oder die Kultur ausbauen sollte, aber das scheint mir scheinheilig. Abgesehen davon ist das Verbrechen von Duisburg nicht umsonst geschehen, wenn Deutschland das Problem der Mafia jetzt als ein europäisches Problem versteht - und das auch den anderen Staaten in Europa begreiflich macht. Wenn diese Gelegenheit nicht wahrgenommen wird, dann hat man eine große Chance im Kampf gegen die Mafia verpasst.
WDR.de: Weil Ihr Buch der Mafia nicht gefallen hat, müssen Sie inzwischen im Untergrund leben. Wie kann man sich Ihre momentane Situation vorstellen?
Saviano: Meine Lebensbedingungen sind gar nicht so außergewöhnlich. Jeder, der die Mafia gegen sich aufgebracht hat, muss in Süditalien so leben. Viele Staatsanwälte, viele Zeugen leben so. Trotzdem war es am Anfang hart für mich. Alles war auf einmal anders. Mit der Zeit fängst du aber an, Teile deines neuen Lebens zu schätzen. Die Solidarität, die dir von vielen Seiten entgegengebracht wird, die Nähe, die zwischen dir und deinen Beschützern entsteht. Im Grunde ist mein Leben letztendlich aber ganz normal - nur mit dem Unterschied, dass ich 24 Stunden am Tag bewacht werde und in einem gepanzerten Wagen herum fahre.
Das Gespräch führte Nina Giaramita.