Mafia in NRW auch weiterhin aktiv
Lebenslang für Strangio
Stand: 12.07.2011, 12:45 Uhr
Am Dienstag (12.07.2011) wurde Giovanni Strangio in Süditalien zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts hatte er am 15. August 2007 zusammen mit drei Komplizen sechs Italiener vor der Duisburger Pizzeria "Da Bruno" erschossen. Die Mafia in NRW ist mit dem Urteil aber keineswegs besiegt.
Von Stephanie Hajdamowicz
Hintergrund der Tat soll eine Familienfehde verfeindeter Mafiaclans aus Kalabrien gewesen sein, bei der es auch um die Vormachtrolle im Drogengeschäft ging. Die Polizei hatte am Tatort Waffen der Opfer gefunden, die laut Aussagen der Ermittler einen Gegenschlag geplant hatten.
Vier Jahre nach dem Sechsfachmord von Duisburg scheint es um die Mafia wieder still geworden zu sein. Die in Kamen geborene und in Venedig lebende Journalistin und Autorin Petra Reski (jüngstes Buch: "Von Kamen nach Corleone") warnt vor dieser Ruhe: "Die Clans fassen hierzulande weiter Fuß und pflegen ihre Beziehungen zur lokalen Politik, zu Baudezernenten und zu Polizeipräsidenten." Gerade gesellschaftliche Kontakte seien für die Mafiosi lebenswichtig. Attentate wie das von Duisburg hätten die Ruhe vorübergehend gestört. Denn die Mafia will vor allem eins nicht: auffallen. Seitdem die mutmaßlichen Mörder in Italien Haft sind, hat sich das Interesse in der deutschen Öffentlichkeit wieder gelegt und die Mafiosi können weiter ohne viel Aufsehens ihre Geschäfte verfolgen, sagt Reski.
Trügerische Ruhe
Diese trügerische Ruhe stellt auch Rainer Wendt fest. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) warnt vor dieser Ruhe. Denn die illegalen Geschäfte wie Geldwäsche und Drogenhandel würden ungehindert weitergehen. Die Mafia sei in der Regel unauffällig, verschwiegen und hoch konspirativ: "Es ist nicht so, dass die Angehörigen von Mafiafamilien, die in NRW leben, nun ständig Straftaten begehen. Die sind jahrelang unauffällig, da kann die Polizei nicht observieren, abhören oder auch nur von Zeit zu Zeit durchsuchen. Das lässt unsere Rechtsordnung nicht zu." Das würde die Ermittlungsarbeit der Polizei erschweren.
Neue Köpfe
Seit den Morden von Duisburg sind die Strukturen der Mafia in NRW nicht zerschlagen worden. Mafia-Mitglieder wie Giovanni Strangio werden einfach durch andere ersetzt, stellen die Ermittler vor Ort fest. Durch die Aufklärung der Tat haben sie viele neue Erkenntnisse zur Arbeitsweise der Ndrangheta gewonnen, der kalabrischen Mafia, die für die Morde von Duisburg verantwortlich ist. Doch der Polizei vor Ort fehlen die Ermittler, um die vielen Helfershelfer in diesen Banden über lange Zeit zu beobachten.
"Für eine Stadt wie Duisburg wären vier bis fünf Ermittler notwendig, um nur die 'Ndrangheta zu kontrollieren. Die gibt es aber nicht", sagt Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Der Landesvorsitzende des BDK hat viele Jahre selbst als Ermittler in der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gearbeitet. Und kennt das Personalproblem. Die wenigen Polizisten, die da wären, würden nicht nur gegen die Mafia ermitteln, sondern gegen alle anderen Formen der organisierten Kriminalität.
Ländliche Strukturen
Organisationen wie die 'Ndrangheta werden wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt. "Dabei werden Standorte danach ausgesucht, wo ein mögliches Entdeckungsrisiko am geringsten und der Profit am Höchsten ausfällt", sagt Albishausen. Nicht nur Großstädte wie Duisburg mit der Nähe zur niederländischen Grenze, sondern auch Städte und Gemeinde mit ländlicher Struktur seinen geeignete Örtlichkeiten für die kriminellen Aktivitäten der Mafia.
Geldwäsche in Deutschland schwer zu bekämpfen
Bei den Geschäften der Mafia handelt es sich vor allem um Geldwäsche und Drogenhandel, hinzu kommen Immobiliengeschäfte und Schutzgelderpressung. Nach wie vor sei im Verhältnis zu Italien die Geldwäsche in Deutschland ein Kinderspiel für die Mafiosi, sagt Petra Reski: "Weil nicht der Investor, sondern der Ermittler nachweisen muss, dass das Geld aus unsauberen Quellen stammt." Sogenannte anlassunabhängige Finanzermittlungen sind in Deutschland verboten. Sie nennt ein Beispiel: "Wenn ein Pizzabäcker 800 Euro im Monat verdient und sich für 80.000 Euro eine Pizzeria kauft - und ein Polizist diese Differenz aufklären will, kann er höchstens Fragen stellen. Der Pizzabäcker wird antworten, dass er ein Geschenk von seinem Onkel aus Kalabrien bekommen habe, und vielleicht eine gefälschte Schenkungsurkunde vorlegen. Damit ist die Ermittlung abgeschlossen", so Reski. Geldwäscheermittlungen sind sehr schwierig, vor allem wegen der Beweislastumkehr, sagt auch Wilfried Albishausen. Der Polizist müsse beweisen, dass das Geld aus unsauberen Quellen kommt. In Italien dagegen muss ein Investor beweisen, dass das Geld sauber ist. Die Gesetzeslage in Deutschland ist laut Petra Reski geradezu ein Einladungsschreiben an die Mafia.
In Essen und Dortmund aktiv
Reski beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Mafia und deren Verstrickungen in alle gesellschaftlichen Ebenen. Die Mafia-Expertin und Buchautorin schätzt, dass hierzulande rund 3.000 Personen zum harten Kern der italienischen Mafia gehören, dazu kämen weitere Familienmitglieder als Handlanger. Die kalabrische 'Ndrangheta, die für die Morde in Duisburg verantwortlich gemacht wird, schätzt Reski in Deutschland auf etwa 1.200 Mitglieder. In Nordrhein-Westfalen soll die 'Ndrangheta neben Duisburg auch in Essen und Dortmund aktiv sein. Das BKA berichtet, so Reski, dass in Münster der aus der kalabrischen Provinz Crotone stammende 'Ndrangheta-Clan Aracri seine Geschäfte macht und sich hier den klassischen Betätigungsfeldern wie Rauschgifthandel, Erpressung und Geldwäsche widmet.
Mafialand NRW
Seit den Sechzigerjahren ist die italienische Mafia in NRW ansässig. Die sizilianische Cosa Nostra ließ sich anfangs in Orten nieder, wo sie ihre Landsleute fand. Genauso war das mit der kalabrischen 'Ndrangheta und der neapolitanischen Camorra. Im Laufe der Jahre haben sich Strukturen herauskristallisiert und weiter ausgedehnt, auch in anderen Städten. NRW bleibt für die Mafia ein interessantes Terrain, auch wegen des Drogenhandels. Illegal erworbenes Geld aus dem Drogenhandel wird dem legalen Markt wieder zugeführt, in dem man es beispielsweise auf ein Konto einzahlt und durch verschiedene Transaktionen die Herkunft unkenntlich macht. Dann kann man damit wieder legale Geschäfte betreiben.
Kokaingeld für Hotels
Besonders der lukrative Kokain-Handel spült gewaltige Summen in die Kassen der Italiener. Im Jahr 2004 soll die 'Ndrangheta allein mit Kokain 22 Milliarden Euro umgesetzt haben, dazu rund fünf Milliarden mit Unternehmensbeteiligungen und vier Milliarden mit Schutzgelderpressungen. Investiert wird das Geld in den Bau von Restaurants und Hotels. In Ostdeutschland soll die 'Ndrangheta ganze Häuserblocks aufgekauft haben, wie der italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri herausgefunden hat. Gratteri ist in Italien der Chefankläger gegen die Mörder von Duisburg und hat eng mit der Duisburger Polizei zusammengearbeitet.
Telefonüberwachung verboten
Doch wie sollte die Mafia in Deutschland effizienter als bisher bekämpft werden? Die Ermittler vor Ort wünschen sich mehr Telefonüberwachungen von Verdächtigen. Dass ein Staatsanwalt eine Telefonüberwachung beantragt, sei nicht selbstverständlich, heißt es. Doch ohne eine richterliche Genehmigung ist das Abhören in Privatwohnungen wie auch in öffentlichen Lokalen verboten. Ganz anders als in Italien. Wenn die Italiener nicht abhören dürften, würde es keine Mafiaprozesse geben. Deshalb seien die deutschen Bedingungen gerade zu ideal für Mafiosi, um hier Geschäfte zu betreiben, sagen Kenner der Szene wie Albishausen und Reski.
Anders als in Italien ist die Mafiazugehörigkeit in Deutschland kein Delikt. Genau deshalb wurde auch der Haupttäter der Morde von Duisburg, Giovanni Strangio, nach seiner Festnahme in Amsterdam nach Italien ausgeliefert. Die Beweise hier in Deutschland hätten womöglich für eine Verurteilung nicht ausgereicht, sagte damals sogar die Duisburger Staatsanwaltschaft. Man wollte auf Nummer sicher gehen. Denn in Italien würde Giovanni Strangio schon alleine wegen der Mafiazugehörigkeit lange Jahre in Haft kommen.
Polizei ist am Limit
Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter zieht vier Jahre nach den Mafiamorden in Duisburg eine düstere Bilanz. Auf Dauer könnten die Polizisten in NRW immer weniger gegen die Mafia und die organisierte Kriminalität ausrichten: "Unterm Strich gilt, die Kripo in NRW ist seit langem in allen Bereichen der Kriminalität über dem Limit der Leistungsfähigkeit angelangt. Nur wenige nehmen das zur Kenntnis. Das wird nicht mehr lange gut gehen."