Eineinhalb Jahre mit Adolf Sauerland
Interview mit "story"-Autorin Eva Müller
Stand: 10.02.2012, 06:00 Uhr
WDR-Autorin Eva Müller begleitet seit eineinhalb Jahren den seit der Loveparade-Katastrophe hochumstrittenen OB Adolf Sauerland für "die story". WDR.de sprach mit ihr wenige Tage vor der Entscheidung in Duisburg.
WDR.de: Frau Müller, seit der Loveparade meidet Adolf Sauerland den Kontakt zur Öffentlichkeit und zur Presse. Wie haben Sie sein Vertrauen gewonnen?
Eva Müller: Wir hatten schon einige Wochen nach der Loveparade Kontakt zu Sauerland aufgenommen. Ich denke, die zahlreichen Gespräche, die wir vor dem Beginn der Dreharbeiten miteinander geführt haben, haben sehr geholfen. Er hat sich dann mehrere Monate lang überlegt, ob er wirklich teilnehmen will.
WDR.de: Was verspricht er sich davon?
Müller: Eine ausgewogene Berichterstattung, nehme ich an. Und das wäre in dieser für ihn sehr zugespitzten Situation schon viel.
WDR.de: Konnten Sie bei ihm in dieser Zeit eine Entwicklung beobachten? Menschlich oder als Politiker?
Eva Müller
Müller: Wir konnten auf jeden Fall viele verschiedene Stimmungen beobachten. Es gibt Tage, an denen er morgens auf Veranstaltungen ganz viel Freundlichkeit erfährt und abends wieder ausgebuht wird: Hoch, tief, hoch, tief - und so weiter. Es ist schon erstaunlich, wie er das über eine so lange Zeit durchgehalten hat. Der Film versucht Situationen zu zeigen, die vielleicht ein bisschen erklären, was ihn in dieser Zeit umgetrieben hat. Die Zuschauer sollen sich selbst ein Bild machen, wir enthalten uns aller Bewertungen. Denn wir haben in dieser langen Zeit sehr viel Material gesammelt, sehr viele Situationen, die einfach für sich sprechen.
WDR.de: Sauerland hat stets einen Rücktritt abgelehnt bis ihm oder seiner Verwaltung individuelle Fehler nachgewiesen werden. Ist ihm die Idee einer politischen Verantwortung denn völlig fremd?
Müller: Er unterscheidet zwischen juristischer und moralischer Verantwortung. Er sagt, am Anfang habe er nur im Kopf gehabt, keine juristischen Fehler zu machen. Deswegen sei er nicht in der Lage gewesen, moralische Verantwortung zu übernehmen und sich zu entschuldigen. Das sei ein großer Fehler gewesen. Er denkt aber bis heute, dass es richtig war, nicht zurückzutreten. Viele werfen ihm vor, er wolle keine Verantwortung übernehmen. Er selbst sagt aber, gerade durch seine Entscheidung, im Amt zu bleiben, übernehme er Verantwortung. Es ist in vielerlei Hinsicht eine absurde Situation.
WDR.de: Es wurde viel darüber spekuliert, ob er aus Angst um seine Pension im Amt bleiben will. Hat er das jemals kommentiert?
Müller: Er sagt dazu, dies sei ein Gedanke, den er emotional gar nicht in der Lage sei, zu denken. Er weist den Vorwurf also weit von sich.
WDR.de: Direkt nach der Loveparade musste der OB bei öffentlichen Auftritten um seine Sicherheit fürchten. Hat sich die Wut in der Stadt gelegt, das Leben wieder normalisiert?
Müller: Es gibt nach wie vor sehr lauten Protest: Geschäfte, die "Sauerlandfreie Zone" plakatieren, Autos mit der Aufschrift "Der Tod hat einen Namen: Adolf Sauerland", Menschen, die ihm nachrufen "Du hast hier nichts zu suchen". Das passiert so gut wie jede Woche.
WDR.de: In den Medien sind die Sauerland-Gegner sehr präsent. Fast könnte man meinen, der OB habe gar keine Unterstützer mehr, die sich öffentlich zu ihm bekennen. Ist das ein Trugschluss?
Zweiter Abwahlversuch von Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland
Müller: Wir haben bei den Dreharbeiten viele Unterstützer getroffen. Natürlich aus der eigenen Partei, aber besonders auch in der muslimischen Gemeinde und bei vielen türkischen Geschäftsleuten. Die türkische Städtepartnerschaft und Sauerlands Unterstützung für den Moscheebau werden ihm dort hoch angerechnet. Wir waren auch auf eine Karnevalsveranstaltung, wo viele auf seiner Seite waren. Eine kollektive Ablehnung gibt es also nicht.
WDR.de: Wohl selten zuvor war ein Stadtoberhaupt über einen so langen Zeitraum so starken Anfeindungen ausgesetzt. Ist ein OB unter diesen Umständen überhaupt noch politisch handlungsfähig?
Müller: Das möchte ich nicht bewerten, das stand auch nicht im Mittelpunkt des Films. Allerdings gibt es in der gesamten Lokalpolitik natürlich Probleme durch das Abwahlverfahren, das von großen Teilen der Parteien mit Ausnahme der CDU unterstützt wird. Vor dem Hintergrund einer rot-grünen Mehrheit im Stadtrat führt das zu einer Lähmung der politischen Handlungsfähigkeit der ganzen Stadt, bis diese Frage entschieden ist.
WDR.de: Das Abwahlverfahren hat er allerdings als eine "Mogelpackung" und als "SPD-gesteuert" bezeichnet. Was führt ihn zu dieser Einschätzung?
Müller: Die SPD sagt, seitdem sie durch den Bürgerentscheid dazu aufgerufen wurde, einen Termin für das Abwahlverfahren zu finden, sei das auch Sache der Parteien. Und sie beteiligen sich auch tatsächlich mit personeller Unterstützung und Geld. Das sorgt innerhalb der Bürgerinitiative auch für Diskussionen. Am Anfang war es tatsächlich ein rein bürgerschaftliches Engagement.
WDR.de: Ist für Sie mit der Wahl am Sonntag die "Akte Sauerland" geschlossen?
Müller: Das weiß ich noch nicht. Es interessiert mich aber natürlich sehr, wie es in Duisburg weitergeht.
Das Interview führte Andreas Poulakos