Menschen haben viele Kerzen für die Opfer der Loveparade aufgestellt

Drei Monate danach

Seelsorger weiterhin im Einsatz

Stand: 24.10.2010, 02:00 Uhr

Drei Monate nach der Loveparade-Katastrophe leiden immer noch viele Menschen - besonders an den quälenden Erinnerungen. Noch immer ist Unterstützung wichtig, bei der Trauerarbeit, bei der Verarbeitung von Traumata und auch finanzielle Hilfe wird gebraucht.

Von Katrin Schlusen

Arno Eich fährt täglich durch den Tunnel der Karl-Lehr-Straße. Dort, wo vor drei Monaten 21 Menschen starben oder tödlich verletzt wurden. Eich ist Hauptkommissar bei der Duisburger Polizei und war am Tag der Loveparade für die Verkehrskoordination zuständig. "Dieser Tunnel wird immer ein Ort bleiben, der mit Emotionen und Erinnerungen belastet ist", sagt der 46-Jährige. Für seine Stadt wünscht er sich eine Gedenkstätte - die schlichte Gedenktafel im Tunnel und der Kubus mit den Trauergaben würden nicht reichen.

"Als Duisburger ist jeder betroffen"

"Die Stadt war in den Tagen nach dem Unglück wie gelähmt", sagt Eich. "Selbst die Trauerfeier wurde von außen organisiert." Erst mit dem Trauermarsch nach der Katastrophe sei die Stadt wieder aufgewacht. Mittlerweile hat eine Bürgerinitiative 26.000 Euro an Spenden gesammelt. Damit soll eine Gedenkstele oder -skulptur vor dem Unglückstunnel errichtet werden. Die Ausschreibung läuft noch bis Mitte November. Das Kunstwerk soll spätestens im Mai aufgestellt werden. Für die Menschen ein Herzensanliegen: "Als Duisburger ist jeder betroffen."

700.000 Euro Soforthilfe ausgezahlt

Viele Menschen sind traumatisiert. Noch immer bekommt Anke Wendt, Sachbearbeiterin bei der Unfallkasse NRW, jede Woche Anrufe von Hilfesuchenden. 61 Anträge von Verletzten und Hinterbliebenen hat sie in den letzten Monaten bekommen, davon sind zehn noch in Arbeit. Nach der Loveparade-Katastrophe stellte die Landesregierung eine Million Euro zur Verfügung, um den Hinterbliebenen der Todesopfer und den Menschen, die mehrtägige Krankenhausaufenthalte nachweisen konnten, schnell zu helfen. Gerade psychische Verletzungen seien nicht immer sofort diagnostiziert worden und müssten zum Teil über Monate hinweg behandelt werden, so Anke Wendt. 700.000 Euro wurden bereits ausgezahlt. Wendt ist sich sicher, dass noch weitere Anträge auf ihrem Schreibtisch landen werden.

Herbstferien: Zeit zum Nachdenken

Das kann Pastorin Cordula Bründl bestätigen. Die 38-Jährige leitet die Loveparade-Notfallseelsorge für die Evangelische Kirche im Rheinland. Seit über einem Monat wenden sie und ihre zehn Kollegen sich über die Webseite hilfe-loveparade.de an Besucher, Hinterbliebene und Einsatzkräfte. Seitdem haben sie 90 Anrufe bekommen. "In den Herbstferien haben viele Jugendliche Zeit zum Nachdenken gefunden", sagt die Essenerin. Manche würden erst jetzt richtig realisieren, was sie erlebt haben und einen Zusammenbruch erleiden. Einige würden sich fragen, warum ihre Freunde das Unglück scheinbar schon viel besser verkraftet hätten. "Manchmal melden sich auch Jugendliche, die bemerken, dass einer aus ihrer Gruppe immer mehr abrutscht."

Das Team ist auch per E-Mail erreichbar und hat sich zum Ziel gesetzt, jede Mail innerhalb von 48 Stunden zu beantworten. 40 Mails waren es schon. Es gibt keine Vorgaben. Die Betroffenen schreiben manchmal nur wenige Sätze und manchmal viele Seiten. "Wenn wir merken, dass jemand schwer traumatisiert ist, dann helfen wir ihm, die richtige Hilfe zu finden", so Bründl.

Fragen nach Schadenersatz

Bei der Suche nach Hilfe unterstützt auch Ombudsmann Wolfgang Riotte. "Es geht gar nicht so sehr um soziale oder finanzielle Fragen", sagt Riotte, sondern vor allem um "gute oder bessere medizinische Hilfe". Er vermittelt Adressen von Psychologen und Kontakt zu anderen Betroffenen. "Ich wünsche mir, dass die Menschen damit fertig werden, dass die Erinnerungen sie nicht mehr so aggressiv belasten." Zunehmend wird er auch nach Schadenersatz und der Möglichkeit gefragt, eine Anzeige zu stellen. "Das war vorher nicht so ein Thema."

Schuldfrage noch ungeklärt

Die Frage, wer für den Tod der 21 Menschen verantwortlich ist, beschäftigt die Polizei Köln und vier Duisburger Staatsanwälte seit Monaten. Aber bislang drangen keine neuen Erkenntnisse an die Öffentlichkeit. Oberstaatsanwalt Rolf Haferkamp verweist auf die Mengen von Fotos, Akten und Videoaufnahmen, die durchgearbeitet werden müssen. Bevor ein Gerichtsverfahren überhaupt beginnen kann, muss zunächst geklärt werden, ob Veranstalter, Stadt oder Polizei im juristischen Sinne verantwortlich sind.

Selbsthilfegruppe trifft sich in Düsseldorf

Die Aufklärung der Katastrophe wird noch lange dauern. Genauso wie die Trauerarbeit der verletzten und traumatisierten Teilnehmer und Helfer. An diesem Wochenende (24.10.10) trifft sich zum ersten Mal eine Selbsthilfegruppe der Betroffenen in Düsseldorf. Das Ziel ist: Sich gemeinsam Halt geben.