Gruß "Wolfsschnauze"

Nationalistisch-islamistische Propaganda

Perspektivlosigkeit hemmt Integration

Stand: 20.10.2006, 00:00 Uhr

Die Perspektivlosigkeit türkischer Jugendlicher treibt sie in die Arme von Nationalisten und Islamisten, sagt der Kölner Erziehungswissenschaftler Kemal Bozay. Er fordert ein Ende der deutschen Abschottung und Anti-Rassismus-Trainings für türkische Schüler.

Von Dominik Reinle

"Viele Schüler türkischer Herkunft fühlen sich von nationalistischen und islamistischen Organisationen angezogen", sagt Kemal Bozay, Autor des Buches " ... ich bin stolz, Türke zu sein!". Für seine Dissertation hat er Interviews mit türkisch-stämmigen Jugendlichen geführt, die in Deutschland aufgewachsen sind. "Die Probleme an Schulen in Köln und Gelsenkirchen sind keine Einzelfälle." Auch Lehrer aus Dortmund, Duisburg und Gummersbach hätten ihm von ähnlichen Erfahrungen berichtet. "Es geht hier nicht um ein Randphänomen, sondern um das Ergebnis eines zentralen gesellschaftlichen Prozesses", sagt Bozay.

"Selbst-Ethnisierung" fördert Parallelgesellschaften

"Als Reaktion auf die soziale Diskriminierung und die erlebte Fremdenfeindlichkeit grenzen sich die jungen Türken ab", erklärt Bozay. Dieser Trend habe sich seit den Brandanschlägen deutscher Neonazis 1992 in Mölln und 1993 in Solingen verstärkt. "Die türkischen Schüler haben kein Vertrauen, dass sie mal einen Job finden." Diese Perspektivlosigkeit führe dazu, dass sie Schutz in der türkischen Community suchten. "Dort bieten unter anderem islamistische Moscheen und die 'Grauen Wölfe' ethnische Nischen an, wo sich türkische Jugendliche in ihrer Sprache und ihrer Kultur geborgen fühlen können." Zuerst werde ihnen Halt gegeben und später ihre angeblich "wahre türkische Identität" vermittelt. Resultat dieser Indoktrination sei die so genannte Selbst-Ethnisierung: "Die Jugendlichen definieren sich ausschließlich über ihr vermeintliches Türkentum und distanzieren sich von der deutschen Gesellschaft und ihren Werten."

Laut Bozay besteht eine fatale Dynamik: "Je mehr die Deutschen künstliche Mauern gegen Fremde aufbauen, desto mehr ethnisieren sich auch die Migranten." Dadurch würden Parallelgesellschaften zementiert. "In den letzten Jahren haben immer mehr türkischsprachige Jugendliche der deutschen Gesellschaft den Rücken zugekehrt", fasst Bozay das Ergebnis seiner Interviews zusammen. Diese Entwicklung müsse gestoppt werden, da sonst die zunehmende soziale Ungleichheit für eine explosive Lage sorgen könne.

Anti-Rassismus-Training für türkische Jugendliche

"Der Rückzug der türkischen Jugendlichen hemmt die Integration", sagt Bozay. "Denn dieser Prozess des Zusammengehens benötigt beide Seiten: die deutsche und die türkische." Voraussetzung für eine gelungene Integration seien wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen, die Gleichberechtigung garantierten. "Für Migranten gelten aber immer noch Sondergesetze", kritisiert Bozay. "Das betrifft etwa das Wahlgesetz, das Zuwanderungsgesetz und die deutsche Staatsbürgerschaft."

Um eine weitere Abspaltung türkischer Jugendlicher zu verhindern, müssten Lehrer, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter über nationalistische und islamistische Strategien aufgeklärt werden. "Die Bildungsarbeit sollte bewusst Fälle wie in Köln und Gelsenkirchen zum Anlass nehmen, um Präventionsmaßnahmen zu entwickeln." So müssten Schüler, "die in diesem Nationalitätenwahn leben", stärker in den Ethikunterricht eingebunden werden, sagt Bozay. "Wenn wir von Anti-Rassismus-Trainings reden, dann müssen auch sie als Zielgruppe gelten."

"Wir haben ein Tabu angetastet"

Bis zur Umsetzung von Bozays Vorschlägen ist es offenbar noch ein langer Weg: Die beiden Gesamtschullehrer Mustafa Bilgin* und Joachim Weber* fühlen sich mit ihren Erfahrungen in Köln und Gelsenkirchen im Stich gelassen. Keine der beiden Schulen habe das heikle Thema offensiv angegangen, sagt Bilgin. Die verbalen Übergriffe türkisch-stämmiger Schüler seien totgeschwiegen oder als übliches Schüler-Lehrer-Problem ohne politisch-religiösen Hintergrund umgedeutet worden. "Die Schulleitungen haben Angst, dass deutsche Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen", sagt Bilgin. "Wir haben ein Tabu angetastet."

Zurück zu Teil 1: "Gehirnwäsche bei türkischen Schülern"

*Namen von der Redaktion geändert.