NRW-Kampagne gegen Gewalt im Namen der Ehre
Keine Ehre um jeden Preis
Stand: 10.11.2006, 15:46 Uhr
Mit einer neuen Kampagne will Integrationsminister Laschet (CDU) die Öffentlichkeit für Gewalttaten sensibilisieren, die im Namen der Ehre begangen werden. Die Schauspielerin Sema Meray kennt diese Form von Gewalt - aus eigener Erfahrung.
Von Nina Giaramita
Schwer zu glauben, dass für Sema Meray Angst das Thema ihres Lebens ist. Angst passt eigentlich nicht in ihre erfolgreiche Biografie. Die 37-Jährige spielt die Helga Schrader in der WDR-Serie "Die Anrheiner" und eines ihrer Drehbücher steht kurz vor der Verfilmung. Momentan schreibt sie zudem an ihrem ersten Roman. Und dennoch sagt Sema Meray, dass ihr Leben bis heute von Angst geprägt sei - vor ihrem Vater, vor seinen rigiden Erziehungsmethoden, seinen Schlägen.
Aus Wut ein Theaterstück
Daher war die in Deutschland aufgewachsene Türkin wie elektrisiert, als sie Anfang 2005 von dem Mord an Hatun Sürücü erfährt. Die junge Frau war mit drei Schüssen in den Kopf von einem ihrer jüngeren Brüder getötet worden. Ihr selbstbestimmtes Leben war für die Familie nicht akzeptabel.
Aus Wut, dass Brüder ihren Schwestern so etwas antun, hat Sema Meray das Theaterstück "Wegen der Ehre" geschrieben. Darin geht es um Yale, eine in Köln geborene Türkin, die sich von ihrem Mann trennt und in eine eigene Wohnung zieht. Nacheinander wollen Bruder und Vater sie zur Rückkehr ins sittsame Elternhaus bewegen. Doch Yale verteidigt ihre Vorstellungen vom freien Leben, auch als eine Waffe ins Spiel kommt. "Wegen der Ehre" bildet zu einem großen Teil Sema Merays eigenes Leben ab. Als Semas Bruder das Stück gesehen hatte, sagte er nach der Vorstellung: "Gut, dass Papa nicht dabei war."
Zutritt für Mädchen verboten
Gegen diese Form von Gewalt will nun auch die Politik entschiedener vorgehen. Unter Federführung von Integrationsminister Laschet (CDU) wurde am Freitag (10.11.2006) eine Kampagne gegen "Gewalt im Namen der Ehre" gestartet. Ein "notwendiger gesellschaftlicher Dialog" soll damit angestoßen werden. Neben Diskussionsveranstaltungen und Tagungen sollen auch Postkarten mit türkischen Modells dazu beitragen. Auf einer sieht man zum Beispiel einen jungen Herren - daneben abgebildet der Spruch: "Ich will, dass meiner Schwester nichts passiert. Aber auf sie aufzupassen, heißt nicht, sie einzusperren."
Dass das nicht alle in Deutschland lebenden Migranten so sehen, kann man im Don-Bosco-Club in Köln-Mülheim, einer der größten Jugendeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen, erfahren. Türkische Mädchen sind dort im Gegensatz zu den Jungen nicht anzutreffen. "Spätestens wenn die Mädchen zwölf Jahre alt und sozusagen geschlechtsreif sind, dürfen sie abends nicht mehr hierher kommen", berichtet Erzieherin Angelika Rasquin. Viele der türkischen Jungen sagen, dass die Schwester eben nicht angemacht werden dürfe.
Flucht als einzige Lösung
"Gut gemeinte Postkarten reichen allein natürlich nicht aus", meint Jae-Soon Joo-Schauen von "Agisra", einer Beratungsstelle für Migranntinnen in Köln. Wenig Verständnis kann sie vor allem dafür aufbringen, dass das einzige Mädchenhaus in NRW, das speziell für muslimische Mädchen eingerichtet worden war, Anfang dieses Jahres wegen Mittelkürzungen schließen musste. Reguläre Frauenhäuser seien für muslimische Mädchen oftmals keine Lösung, da sie von diesen erst bei Volljährigkeit aufgenommen werden. Vor einer drohenden Zwangsheirat aber müssten die Mädchen oftmals schon mit 16 Jahren fliehen.
Sema Meray hat damals eine eigene Form der Flucht gewählt: Sie heiratete mit 23 Jahren einen Deutschen. Inzwischen ist sie geschieden und mit sich und ihrer Familie einigermaßen im Reinen. "Meinen Eltern ist bewusst, dass sie Fehler gemacht haben", sagt sie. Fehler, die sie selbst nicht wiederholen will. Ihre zwanzigjährige Tochter steht in dem Stück "Wegen der Ehre" zusammen mit ihr auf der Bühne, frei und selbstbewusst.