Deutsche Unternehmen und türkische Kunden
Das neue Geschäft mit der alten Heimat
Stand: 06.11.2006, 06:00 Uhr
Sie hat Geld und gibt es gerne aus: Rahsan Kayabasi, Türkin aus Köln, ist ein "High Consumer" - und wird von deutschen Firmen heftig umworben. Die haben Migranten als kaufkräftige Kunden entdeckt und lernen nun, "türkisch" zu werben - gar nicht einfach.
Rahsan Kayabasi freut sich immer noch über den kleinen Smiley. Da prangte er an einer Kölner Telefonzelle, auf dem Kopf einen türkischen Fes, darunter auf Türkisch die Frage: "Hast Du Deine Heimat vermisst?" Die Telekom machte Werbung für günstige Auslandstarife - und traf damit bei der jungen Frau voll ins Schwarze. "Das fand ich super", erinnert sich die heute 28-Jährige, "ich fühlte mich voll angesprochen." Ein deutsches Unternehmen, das auf Türkisch um Kunden warb - das war ihr neu. "Danach hat die ganze Sippschaft mit Telekom telefoniert", lacht sie - und sie war so beeindruckt, dass sie ihre Diplomarbeit an der Kölner Universität über die neue Werbestrategie "Ethnomarketing" schrieb.
"Sie zeigen gerne, es geht mir gut"
"Ethnomarketing" ist eine relativ neue Marketingstrategie, mit der Migranten beworben werden, vor allem die drei Millionen Türken, von denen jeder Dritte in NRW lebt. Die gelten als besonders attraktive Zielgruppe. Denn Untersuchungen wie die des Essener Zentrums für Türkeistudien zeigen: Die Gastarbeiter von einst gibt es nicht mehr. Statt fürs Häuschen zu sparen, kaufen sie hier eine Wohnung, statt der Verwandtschaft in der alten Heimat Geld zu schicken, geben sie es in der neuen Heimat aus. 17 Milliarden Euro haben sie neueren Analysen zufolge im Jahr zur Verfügung, also 2.200 Euro pro Haushalt und Monat. Das sind zwar knapp 500 Euro weniger als in deutschen Haushalten; aber diese Familien geben das Geld gerne für Markenware und Statussymbole aus. Martina Sauer vom Zentrum für Türkeistudien: "Vor allem die zweite Generation legt deutlich mehr Wert auf Lebensqualität, auf Elektrogeräte und ein Auto." Oder, wie Joachim Schulte vom Berliner Marktforschungsinstitut Data4U sagt: "Sie zeigen gerne, es geht mir gut."
"Kein Schwein ruft mich an" - das geht nicht
Was deutsche Unternehmen zusätzlich reizt: Keine Bevölkerungsgruppe ist so gut zu erreichen. Türkische Tageszeitungen an jedem Kiosk, eine Satellitenschüssel an (fast) jedem Balkon: "Die Türken sind die Gruppe, die mit Marketingmitteln am besten erschlossen ist", so Marktforscher Joachim Schulte. 70 türkische Fernsehprogramme können hier empfangen werden, mit eigenen Fenstern, in denen deutsche Unternehmen ihre Werbung platzieren können. Und sie können sicher sein, dass ihr Spot garantiert gesehen wird: "90 Prozent der Türken", hat Schulte festgestellt, "sehen einmal am Tag rein."
Rein technisch ist es also kein Problem, die Werbebotschaft an den Konsumenten zu bringen. Allerdings "tickt" der anders als der deutsche Kunde. Slogans wie "Kein Schwein ruft mich an" wirken auf Muslime eher abschreckend, der Hund, für Türken kein Haustier, ist auf dem blitzblanken Küchenboden fehl am Platz. Kurz: Es reicht nicht, deutsche Werbesprüche einfach ins Türkische zu übersetzen.
Ein Eimer Wasser für die gute Reise
Wie es funktionieren kann, zeigt ein Werbespot von "Mercedes". Dass darin ein Eimer Wasser vor dem Auto als Metapher für eine unbeschwerte Reise ausgeschüttet wird, findet Marktforscher Joachim Schulte "sehr elegant. Das ist eine Kleinigkeit, aber man sieht, dass Türken daran mitgearbeitet haben." Deutsche können damit aber nichts anfangen - genauso wenig wie mit einem Spot der Telefongesellschaft "Ay Yildiz" ("Halbmond und Sterne"), in dem ein türkischer Comedian auftritt. "Wir fanden das überhaupt nicht lustig", erinnert sich Christiane Kohlmann, bei der "Ay Yildiz"-Mutter E-Plus zuständig für Ethnomarketing. "Aber die türkischen Kollegen haben sehr gelacht."
Türkische Be- und Empfindlichkeiten
Dass es sich lohnt, türkische Vorlieben zu kennen, merken inzwischen immer mehr Unternehmen. Die Türken verschicken zum Jahreswechsel gerne Karten? Die Deutsche Post startet regelmäßig eine Jahresendkampagne. Sie machen zu den Feiertagen traditionell Geldgeschenke? Die Deutsche Bank bietet ihren Kunden kostenfreie Überweisungen an. Das Institut ist einen Schritt weiter gegangen und hat im Juli "Bankamiz" gegründet, die "Bank für uns", mit eigenen Kontoauszugsdruckern und Kundenberatern. Ein Pilotprojekt, das an vier Standorten in NRW getestet wird und nach Angaben eines Sprechers gut ankommt, auch wenn noch genaue Zahlen fehlen. Auch Daimler-Chrysler setzt auf den direkten Kundenkontakt, den Türken so schätzen, und bildet eigene Verkäufer aus. Rahsan Kayabasi, Autorin der Diplomarbeit über Ethnomarketing: "Die haben in jeder Filiale jemanden, der die 'Schwarzköpfe' sofort erkennt und auf Türkisch anspricht."
Wie viel Geld in die Werbung für das "türkische Marktsegment" fließt, wie es nüchtern genannt wird, behalten die Unternehmen für sich. Aber das Engagement lohnt sich, wie ein Blick auf Rahsan Kayabasis Familie zeigt. "Mein Vater hat gerade einen Mercedes gekauft", erzählt die junge Frau. "Und er telefoniert stundenlang mit 'seinem' Kundenberater bei der Telekom." Sie lacht: "Den kennt er inzwischen sogar mit Vornamen."