Der erste der beiden Türme des World Trade Centes in New York stürzt ein

Ein Weltreisender macht Pause

Tag 4: Glück im Unglück

Stand: 17.09.2001, 18:12 Uhr

Im "O'Reilly Pub" an der 31. Straße herrscht wildes Durcheinander. CNN, CBS, ABC und NBC plärren aus vier Fernsehern gleichzeitig Vorkriegsbulletins durch die Bierstube. Eine Gruppe junger Männer spielt Dart. Eine alte Frau schluchzt unentwegt: "Amerika, das hast du nicht verdient!". Und mittendrin: Wolfgang von Rhein.

Von Herbert Bopp

Wolfgang von Rhein (60) ist ein gutsituierter Bürger ohne festen Wohnsitz. Geboren wurde er in der Nähe von Waldshut, an der Schweizer Grenze. In Konstanz ließ er sich zum Vermessungstechniker ausbilden. 1961 wanderte er nach Australien aus. Seither führt ihn seine Arbeit als Landvermesser um die Welt. Die längste Zeit hat er in Fidji und Neu-Guinea zugebracht. Aber auch in Borneo und Malaysia hat er mehrere Jahre gelebt. Jetzt ist Wolfgang von Rhein im Ruhestand. Zur Belohnung haben sie ihm in der Firma ein Flugticket um die Welt geschenkt. Von Djakarta aus flog er erst einmal zu seiner 82-jährigen Mutter ins Badische. Und dann nach New York. Das kannte er aus irgendeinem Grund noch nicht. Hat ihn auch nicht sonderlich gereizt. "Mein Ding ist Südostasien."

Dienstag wollte er auf die Zwillingstürme

Jetzt sitzt Wolfgang von Rhein also im "O'Reilly Pub" und philosophiert. "Nehmen wir mal an", sagt er, "ich wäre am Dienstagmorgen auf dem World Trade Center gewesen. Dann säße ich jetzt nicht hier." Beim Bier. Das leuchtet mir ein. Am Dienstagmorgen war der Frühpensionär von Rhein aber nicht auf dem World Trade Center, wie er es eigentlich geplant hatte. Er saß im Ramada Inn am Flughafen. In die Innenstadt war nicht reinzukommen. Also quartierte sich der Weltreisende in der Nähe des Airports ein. Dort sah er auch die Katastrophe. Live auf CNN.

"World Trade Center war also gestrichen", sagt er. Er sagt es so, als hätte er den Termin beim Zahnarzt absagen müssen. Und da er die Zwillingstürme jetzt "leider" nicht mehr besichtigen konnte, wollte er sich eben Bildmaterial "von diesem herrlichen Gebäude" besorgen. Denn, wie gesagt, es stand ja auf seiner Liste, das World Trade Center. Bildmaterial zu finden, war am Tag der Katastrophe gar nicht so einfach. Sofort nach dem Terroranschlag nahmen viele Händler WTC-Prospekte vom Regal. Ob aus Pietät oder als Sicherheitsvorkehrung, wer will es wissen.

Der Ballsaal wurde zur Notunterkunft

Inzwischen ist Herr von Rhein vom Flughafen-Hotel nach Downtown Manhattan umgezogen. Im Ballsaal des "Holiday Inn" an der 32. Straße konnte er noch ein Zimmer bekommen. Viele hatten nicht so viel Glück. "In der Nacht nach der Katastrophe lagen im Ballsaal mindestens 300 Leute auf Notliegen", sagt von Rhein. Gestrandete Flugpassagiere, Angehörige von Vermissten. Touristen und Geschäftsleute.

Wolfgang von Rhein war über den Terroranschlag im World Trade Center nicht weniger geschockt als der Rest der Welt. Er empfinde tiefe Trauer für die Angehörigen der Menschen, die dort umgekommen seien, sagt er. Und Verachtung für die Terroristen. "Aber", sagt der Weltbürger von Rhein, "Life goes on." Die schreckliche Katastrophe sei ja nun leider nicht mehr rückgängig zu machen. Er sei gespannt, sagt der New York-Besucher von Rhein, "was Bush als nächstes macht." Er befürchte, "dass die Amis mal wieder total überreagieren. Am liebsten hätten die doch gleich ganz New York evakuiert."

"Mir ist das alles zu hektisch"

Jetzt, da sein New York-Besuch ganz anders verläuft als geplant, will sich Wolfgang von Rhein nur noch wenige Tage im Big Apple aufhalten. "Mir ist das alles viel zu hektisch hier", sagt er. Sein nächstes Ziel ist Las Vegas. Von dort aus geht's weiter nach Hawaii. Dann, mit Zwischenstopp in Neuseeland, nach Australien. Dort will Wolfgang von Rhein auf seiner Reise um die Welt eine lange Pause einlegen. "Bitte ohne Katastrophen."