Rettungskräfte in Schutzkleidung

Schutzmasken und Menschenschlangen

Tag 2: Zu Fuß zum Ground Zero

Stand: 15.09.2001, 10:30 Uhr

Alexander sagt, er sei Deutscher. Eigentlich sei er ja Amerikaner. Aber zurzeit wäre er lieber Deutscher. "Schau dich mal um", murmelt er hinter der Staubmaske, "das ist doch kein zivilisiertes Land, in dem wir hier leben." Deutschland sei besser, sagt Alexander. Er wisse das so genau, weil sein Vater drei Jahre in Deutschland gelebt habe. Als G.I. Irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Es könne auch Bayern gewesen sein. Oder Hamburg. Jedenfalls erzähle sein Vater immer, wie gut ihm damals das deutsche Bier geschmeckt habe.

Von Herbert Bopp

Ich treffe Alexander vor der "White House Tavern", am Südzipfel von Manhattan. Fünf Minuten von hier ist "Ground Zero". Das ist die Stelle, an der vor vier Tagen blutige Geschichte geschrieben wurde. "Ground Zero" befindet sich auch heute wieder im Nebel. Die Trümmerwolken verdunkeln noch immer den Himmel über Manhattan. Wenn nicht sogar über New York. Oder gar ganz Amerika. Dort also steht Alexander, der farbige Polizist, der heute gerne Deutscher wäre. Alexander ist zur Bewachung von "Ground Zero" eingeteilt worden. Er ist einer von Tausenden. Ihre Aufgabe ist es, keinen Zivilisten in die besetzte Zone zu lassen. "Too dangerous", murmelt Alexander durch seine verdreckte Mullmaske hindurch. Zu gefährlich.

Mit dem Katasthrophenpass durch die Geisterstadt

Menschen in der Nähe des WTC sind dick mit Staub bedeckt

Die Stadt wirkt geisterhaft

Gefährlich und anstrengend. Wer nach "Ground Zero" will, muss zu Fuß gehen. Taxis werden zurückgewiesen. Lieferanten müssen sich ausweisen. Und Journalisten erst recht. Drei Stunden habe ich heute in einer Warteschlange vor dem Polizei-Hauptquartier in Manhattan verbracht. Dort werden Presseausweise für ausländische Journalisten ausgestellt. Ich besitze drei Presseausweise: den deutschen, den kanadischen und den internationalen. Was ich nicht besitze, sind zwei Passfotos, die ich ständig mit mir herumtrage. So wurde ich also zum Fotografen geschickt, als die Reihe endlich an mir gewesen wäre. Meinen Katastrophenpass bekomme ich frühestens morgen.

Fotografen sind in New York viel beschäftigte Leute. Viele von ihnen verdienen sich zurzeit ihr Geld mit hausgemachten Katastrophenfotos. In Chinatown habe ich für meine Passbilder einen Fotoladen aufgetrieben. Die Bilder kosten fünf Dollar. Wenn ich mein Konterfei als Montage vor dem in Flammen stehenden World Trade Center haben möchte, wären es zehn Dollar. Ich lehne ab.

Alexander, der Polizist, sagt mir später, er könnte in diesen Tagen als Model ein kleines Vermögen verdienen. Dutzende von Touristen fragen ihn jeden Tag, ob sie ihn mit seiner Maske fotografieren dürfen. Aber nur bei den Deutschen sagt er ja. Schließlich ist er ja zurzeit ein ganz kleines bisschen Deutsch.