Das Terror-Jahr 1977

43 Tage Ausnahmezustand

Stand: 28.04.2007, 06:00 Uhr

Die Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer bildet den Ausgangspunkt für den so genannten Deutschen Herbst. 43 Tage lang herrscht in der Bundesrepublik Ausnahmezustand.

Von Dominik Reinle

Schleyer-Attentat

Köln: Spurensicherung am Tatort

5. September 1977: Vier Entführer des RAF-Kommandos "Siegfried Hausner" stoppen in Köln-Braunsfeld den Dienstwagen von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer. Sein Fahrer und drei ihn begleitende Polizisten sterben im Kugelhagel. Die Terroristen verschleppen den 62-Jährigen in einem VW-Bus. In den Folgewochen überziehen die Sicherheitsbehörden ganz Westeuropa mit einem engmaschigen Fahndungsnetz.

6. September: In einer Erklärung fordern die Entführer, elf inhaftierte RAF-Terroristen in ein Land ihrer Wahl auszufliegen. Darunter sind Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller. Das Bundeskabinett und der Große Krisenstab unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) beschließen am späten Abend, die RAF-Häftlinge nicht freizulassen.


7. September: Die Entführer schicken ein Video an die Behörden, auf dem Schleyer eine Erklärung verliest. Ein Hinweis auf Schleyers Versteck im südlich von Köln gelegenen Erftstadt-Liblar geht bei der Polizei ein, wird aber nicht weiterverfolgt.

Schleyer als "Gefangener der RAF"

Fahndung nach Christian Klar

Fahndung: Verschärfte Kontrollen

8. September: Die Bundesregierung verhängt eine Nachrichtensperre - mit Billigung der Chefredakteure führender Medien der BRD.

9. September: In ihrem fünften Brief stellen die Entführer den Behörden ein kurzfristiges Ultimatum. Der Genfer Rechtsanwalt Denis Payot wird als Vermittler eingeschaltet.

12. September: Die Frankfurter Rundschau veröffentlicht ein ihr zugeleitetes Foto, das Schleyer als "Gefangener der RAF" zeigt.

14./15. September: Nach dem Start der Rasterfahndung in Köln verlegen die Terroristen Schleyers Aufenthaltsort erst nach Den Haag, dann nach Brüssel.

Kontaktsperregesetz wird kurzfristig beschlossen


17. September: Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) reist über mehrere Tage nach Algerien, Süd-Jemen, Libyen und den Irak, um über die mögliche Aufnahme freigepresster Terroristen zu verhandeln.

22. September: Im holländischen Utrecht erschießt Knut Folkerts, einer der Buback-Attentäter, einen niederländischen Polizisten, der ihn festnehmen will. Folkerts wird verhaftet, verrät jedoch nicht das Versteck Schleyers.

29. September: Der Bundestag beschließt das Kontaktsperregesetz. In Gefahrensituationen dürfen Häftlinge aus der Terrorszene keinen Kontakt zu ihren Anwälten haben. Das Gesetz hat innerhalb von fünf Tagen die Gremien passiert. Das Gesetz tritt am 2. Oktober in Kraft und wird am 13. Oktober durch den Bundesgerichtshof bestätigt.

Urlaubsflieger mit 91 Menschen entführt

Bedrohung im Cockpit der "Landshut"

Nachgestellt: Bedrohung im "Landshut"-Cockpit

13. Oktober: Vier palästinensische Terroristen des Kommandos "Martyr Halimeh" entführen die Lufthansa-Maschine "Landshut" auf dem Rückflug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main. An Bord der Boeing 737 sind 91 Menschen. Der Irrflug führt über Rom, Zypern und Dubai nach Somalia. Bei einer Zwischenlandung in Aden (Südjemen) erschießen sie den Flugkapitän Jürgen Schumann. Auch sie fordern die Freilassung der elf RAF-Inhaftierten plus 15 Millionen Dollar. Die Terroristen drohen ultimativ mit der Ermordung Schleyers und aller Flugzeug-Passagiere. Staatsminister Wischnewski reist der "Landshut" nach und verhandelt jeweils vor Ort mit den Entführern.

15. Oktober: Schleyers Sohn Hanns-Eberhard ruft das Verfassungsgericht an, um die Bundesregierung zu zwingen, das Leben seines Vaters zu retten. Das Gericht weist den Antrag einen Tag später zurück. Zuvor ist eine Geldübergabe durch den Schleyer-Sohn in Frankfurt gescheitert.

"Landshut"-Geiseln frei - Schleyer ermordet

GSG 9-Aktion: Freude vor dem Bundeskanzleramt

GSG 9-Aktion: Freude vor dem Bundeskanzleramt

18. Oktober: Kurz nach Mitternacht befreit ein Kommando des Bundesgrenzschutzes (GSG 9) die Geiseln der "Landshut" in Mogadischu (Somalia). Dabei werden drei Entführer getötet. Gegen sieben Uhr früh werden in der JVA Stuttgart-Stammheim Andreas Baader und Gudrun Ensslin tot, Jan-Carl Raspe sterbend und Irmgard Möller schwer verletzt aufgefunden. Die Behörden gehen von Selbstmord beziehungsweise Selbstverletzung aus. Die Anwälte der toten Häftlinge sprechen von möglichem Mord. Die überlebende Möller vertritt später die Ansicht, es habe sich um eine Geheimdienst-Operation gehandelt.


19. Oktober: Hanns Martin Schleyer wird im Elsass im Kofferraum eines Autos ermordet gefunden. Die RAF erklärt in ihrem 25. Brief: "Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet."

Scheel entschuldigt sich bei Schleyers Familie

20. Oktober: Bundeskanzler Schmidt erklärt im Bundestag, die Forderung der Schleyer-Entführer, RAF-Häftlinge freizulassen, sei abgelehnt worden, um die Fähigkeit des Staates zu sichern, seine Bürger zu schützen und ihr Vertrauen in die Schutzfunktion des Staates zu wahren.

25. Oktober: Schleyer wird in Stuttgart beigesetzt. Beim Staatsakt bittet Bundespräsident Walter Scheel (FDP) Schleyers Angehörige "im Namen aller deutschen Bürger" um Vergebung.

27. Oktober: Baader, Ensslin und Raspe werden auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beerdigt. Mehr als 1.000 Polizisten mit Maschinenpistolen sind vor Ort. Einige vermummte Teilnehmer tragen Transparente mit der Aufschrift "Gudrun, Andreas und Jan wurden in Stammheim gefoltert und ermordet" und "Der Kampf geht weiter".

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