Entscheidende Spur übersehen
Fahndungspanne: "Schleyer könnte noch leben"
Stand: 28.04.2007, 00:00 Uhr
"Schleyer könnte noch leben", ist Ferdinand Schmitt überzeugt. Doch der Hinweis des Ex-Polizeihauptmeisters aus Erftstadt bei Köln wurde von seinen Kollegen nicht ernst genommen. 2002 schilderte er WDR.de, wie es zur Fahndungspanne kam.
Von Frank Menke
7. September 1977: Seit zwei Tagen ist Schleyer verschleppt. Von seinem Chef erhält Polizist Schmitt die Weisung, in Großwohnanlagen nach einem möglichen Versteck zu suchen. In Schmitts Stadtteil Erftstadt-Liblar kommen fünf Hochhäuser in Frage. Also fährt er hin und trifft den Hausmeister: "Ich suche den Aufenthaltsort von Herrn Schleyer. Hat es in letzter Zeit eine Wohnungsanmietung unter seltsamen Umständen gegeben?" Der Hausmeister schickt Schmitt zu seiner Schwiegermutter, die für die Hausverwaltung zuständig ist. Schmitt: "Sie erinnerte sich an eine Frau, die im dritten Stock eine Wohnung gemietet hatte. Als sie Kaution und Miete bezahlen sollte, zog die Wohnungsinteressentin mehrere Bündel Geldscheine aus der Handtasche und legte den Betrag bar auf den Tisch. Möbel hatte die auch keine."
Fernschreiben verschlampt
Das Schema passt. Kaum 48 Stunden sind seit der Entführung vergangen, da hatte Schmitt die erste Station des so genannten Volksgefängnisses der RAF-Terroristen aufgespürt. Keine Dreiviertelstunde entfernt vom Bundeskanzleramt, wo der Krisenstab tagt. Per Fernschreiben gehen die Informationen an die Kölner "Soko 77". Schmitt und seine Kollegen warten. Doch nichts passiert. Einige Tage später hakt er nach. Das Fernschreiben ist verloren gegangen. "Bis heute ist ungeklärt, wo das Fernschreiben abgeblieben ist. Aber solche Fehler werden nur von Idioten oder absichtlich gemacht", sagt Schmitt konsterniert. Die Koordination der einzelnen Polizeistellen sei mehr als mangelhaft gewesen.
Terroristen den Strom abdrehen
Während Schmitt und Kollegen warten, wird Schleyer von seinen Peinigern zehn Tage lang in der Hochhaus-Wohnung gefangen gehalten und verhört. Schmitt ist über die Fahndungspanne so sauer, dass er sich als Zeitschriftenwerber tarnen und an der Wohnung klingeln will: "Das wurde mir von meinem Stationsleiter untersagt." Schmitt hat auch die Idee, in der in Frage kommenden Wohnung Strom, Wasser und Telefon abstellen zu lassen: "Dann hätten die sich ja irgendwie rühren müssen." Doch auch das wird ihm untersagt.
Wohnung mit Mini-Kampfpanzer geöffnet
Drei Wochen, nachdem Schleyers Leiche in elsässischen Mühlhausen gefunden wurde, macht die Polizeistation Erftstadt am 8. November abermals Meldung: Die verdächtige Wohnung wird trotz pünktlicher Mietzahlungen nicht genutzt. Daraufhin lässt das Bundeskriminalamt die Wohnungstür mit einem Mini-Kampfpanzer öffnen - aus Angst vor Bombenfallen. "Das BKA glaubte, die Täter würden an den Tatort zurückkehren und ließ die Wohnung von einem Hochhaus gegenüber beobachten", erzählt Schmitt. "Dem dort lebenden Ehepaar wurde auf Staatskosten sogar der Urlaub verlängert." Geholfen hat es nichts. Im Gegenteil. Als die Beamten an den Fenstern mit ihren Waffen rumfuchteln, rufen besorgte Nachbarn die Polizei an: "Da sind die Terroristen."