Nach 700 Fußballspielen: Sabine Töpperwien verabschiedet sich in den Ruhestand

Stand: 21.01.2021, 09:00 Uhr

Sie ist die Stimme von "WDR2 Liga Live", die Pionierin der Sportberichterstattung im Hörfunk, hat sich bei weit über 700 Spielen aus dem Stadion und von 12 Olympischen Spielen gemeldet, war Teamchefin Hörfunk der ARD bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland: Nach über drei Jahrzehnten beendet Sabine Töpperwien, langjährige Leiterin der WDR2-Sportredaktion und zuletzt Chefin für Personal und Finanzen auf dem crossmedialen Sportcampus, nun ihre berufliche Karriere beim WDR und geht in den vorzeitigen Ruhestand. Wir sprachen mit der 60-Jährigen über die schönsten Momente in ihrer Karriere als Reporterin, über die Sportberichterstattung im Allgemeinen und über die Bedeutung von Crossmedialität.

Von Christian Schyma

Erinnern Sie sich noch an den Tag ihres ersten Einsatzes, an den Moment, als Sie sich zum ersten Mal aus dem Stadion meldeten?

Sabine Töpperwien: Natürlich weiß ich das noch, das war 1987 bei einem Spiel in der 2. Liga aus dem Hindenburg-Stadion in Meppen. Hintergrund war aber, dass die männlichen Kollegen beim NDR keine Lust hatten, den weiten Weg in die "Provinz" zu fahren. So kam ich zum Zuge. Mein erstes Bundesligaspiel war am 16. September 1989 die Partie St. Pauli gegen den HSV im Hamburger Volksparkstadion. Kurz vorher war durchgesickert, dass ich als erste Frau ein Fußballspiel live im Hörfunk kommentieren würde. Da haben sich die Agenturen gemeldet und wollten über mich berichten. Zwei Nächte habe ich nicht schlafen können, war mega nervös. Das Spiel endete glücklicherweise 0:0, so dass mir hinterher kein Kritiker einen falschen Torschützen vorwerfen konnte. In der Konferenz hat alles funktioniert und ist glatt gelaufen. Damit hatte ich meinen großen Traum, Fußballreporterin zu werden, an diesem Tag verwirklicht.

Wie schwer war es denn damals als Frau in der Sportberichterstattung?

Sabine Töpperwien: Es gab weit und breit keine andere Frau in der Live-Berichterstattung aus dem Stadion. Dementsprechend gab es viele Briefe von Hörern. "Eine Frau auf dem Heiligen Stuhl des Fußball-Reporters" – das könne doch nicht sein, hieß es beispielsweise. Aber mein Bruder Rolf hatte mich auf das Experiment im Haifischbecken gut vorbreitet. Jedes Wort werde auf die Goldwaage gelegt, hat er gewarnt. Otto Rehhagel entgegnete mir mal, ich hätte doch noch nie den Schweiß einer Kabine gerochen. Und Christoph Daum riet mir, lieber mal meinen Bruder zu schicken. Frauen hatten es lange Zeit viel, viel schwerer im Reportergeschäft.

Gibt es ein Spiel, das Sie niemals vergessen?

Sabine Töpperwien: Jeder Live-Einsatz in einem Stadion, jeder Abruf von Olympischen Spielen war für mich ein riesen Highlight. Zum Beispiel die Kommentierung des ersten deutschen Frauenfußball-Länderspiels im Rahmen der EURO 1989 im Ersten – eine Premiere im deutschen Fernsehen.
Oder das Hin- und Rückspiel im UEFA-Cup-Finale 1997 zwischen Schalke 04 und Inter Mailand. Das war eine unvergessliche Reportage zusammen mit Manni Breuckmann – und einem Happy End nach Efmeterschießen für Schalkes Eurofighter. Legendär war für mich auch das einzige deutsch-deutsche Champions-League-Finale zwischen Dortmund und den Bayern aus dem Londoner Wembley-Stadion. Aber auch die "Geisterreportage" 2017 in Dortmund, als ein Sprengstoffanschlag auf den BVB-Bus vor dem Champion-League-Viertelfinalhinspiel gegen Monaco verübt worden war und ich die Hörer*innen den ganzen Abend informiert habe, was abläuft – ohne dass das Spiel stattfand. Das werde ich nie vergessen. 

Welche Qualitäten sollten Hörfunkreporter*innen im Sport mitbringen – früher wie heute?

Sabine Töpperwien: Die Frage nach der Qualität und dem Anspruch hat sich meiner Meinung nach nicht verändert. Sie sollten hundertprozentige Fachkenntnis mitbringen, den Hang zum Performen und eine tragende Stimme. Dazu Leidenschaft. Sie müssen ein Gefühl dafür entwickeln, gleichzeitig ein Spiel zu verfolgen und Uhren für sekundengenaue Schilderungen im Blick zu behalten. Da ist Multitasking gefragt. Technisch gesehen ist es heute sogar eine größere Herausforderung, da sich die Reporter*innen häufig um alles selbst kümmern müssen.

Vergleichen Sie die Sport- und Fußball-Berichterstattung Ende der 1990er Jahre mit der heutigen. Was hat sich verändert, wie würden Sie die Gründe für den Wandel erklären?

Sabine Töpperwien: Als Fußball-Liebhaberin freut es mich ungemein, dass Sport und Fußball noch den gleichen Stellenwert haben – und auch das Rechtepaket weiterhin im öffentlich-rechtlichen Bereich liegt. Aber es hat sich einiges verändert: Zum Beispiel: Kontakt zum Sportler zu bekommen, ist viel schwieriger als früher. Da ist die Distanz, der Argwohn gegenüber den Journalist*innen deutlich größer. Die sozialen Medien spielen eine große Rolle, das Miteinander ist verlorengegangen. Auch der Spielplan richtet sich immer mehr gegen die Fan-Interessen und für das Pay-TV, weil es um Geld geht. Aber irgendwann ist die Spirale überdreht.

Was haben Sie als Chefin der HF-Sportredaktion anders gemacht als Ihr Vorgänger Dietmar Schott? Wie haben Sie Talente erkannt und gefördert?

Sabine Töpperwien: Ich war schon immer eine große Teamplayerin, habe versucht, das Wir-Gefühl zu stärken. Ich habe ein moderneres Radio zu entwickeln versucht, lebendiger, mit mehr Live-Anteilen, Collagen auf Musik, auch mal witzig, in einer neuen Sprache. Aus "Sport und Musik" wurde "WDR2 Liga Live". Zudem habe ich die Zahl der freien Mitarbeiter*innen  stark erhöht. Mir war wichtig, dass sie fachlich top sind, aber charakterlich auch in unser Team passen. Team-Spirit war meine Maxime, das Motto war: Nicht nur produzieren, sondern auch reflektieren. In der Montagsrunde habe ich eine neue Kritikkultur auf inhaltlicher Ebene eingeführt – und auch alle Freien miteingebunden. Meine Philosophie war immer: Die Sendung ist nur so stark, wie jedes einzelne Team-Mitglied. Und plötzlich interessierten sich auch 1Live oder WDR4 für Sportbeiträge.

Was hat sich für Frauen in der Sportberichterstattung geändert? Was haben Sie dazu beitragen können?

Sabine Töpperwien: Lange Zeit waren Männer hier die Protagonisten, die unter sich bleiben wollten. Ich habe in meiner Redaktion schon vor geraumer Zeit den Frauenanteil deutlich erhöht, inzwischen gibt es viele freie Mitarbeiterinnen – beispielsweise meine Fußball-Autorinnen. Sie machen alle einen tollen Job. Auch auf höheren Ebenen bei den Direktor*innen hat man in den letzten Jahren gemerkt, dass es viel zu wenig Frauen in diesem Bereich gibt. Nach konkreten Vorgaben hat sich das Verhältnis jetzt in allen ARD-Sportredaktionen geändert.

Auf dem 2019 eingerichteten WDR-Sportcampus wird crossmedial gearbeitet, d.h. das Team produziert für alle Ausspielwege. Welche Bedeutung hat die Crossmedialität für die Berichterstattung?

Sabine Töpperwien: Über kurze Sicht gesehen fiel die Umstellung für viele Kolleg*innen  sicherlich schwer. Längerfristig gesehen ist es aber ein riesiger und nötiger Schritt. Weil sich das Nutzer*innenverhalten ändert, viel mehr Menschen ins Netz gehen. Außerdem wollen wir jüngere Nutzer*innen mitnehmen, es verbessert unsere Chancen für die Zukunft. Es hat uns damals ein Stück weit geehrt, dass der Sport der Versuchsballon, die Blaupause für die anderen Redaktionen war. Für mich war der Aufbau des Sportcampus‘ meine letzte Mission, nämlich meine geliebte Radioredaktion in die crossmediale Welt zu führen. Das hat gut geklappt.

Ihr Bruder Rolf war Sportreporter beim ZDF. Welchen Einfluss hatte er auf ihren Werdegang? Und wie oft haben sich die Geschwister Töpperwien ausgetauscht?

Sabine Töpperwien: Meinen Bruder, der zehn Jahre und zehn Tage älter ist, und mich werden Sport und Fußball immer verbinden. Früher haben wir uns bestimmt vier, fünf Mal pro Saison in irgendeinem Stadion getroffen und sind dann auch mal zusammen zu den Trainern gegangen. Rolf war mein Mentor, wir haben uns jeden Samstag oder Sonntag ausgetauscht. Wir haben ein hundertprozentiges Vertrauensverhältnis, sind schonungslos offen zueinander. Seine Meinung war und wird mir immer wichtig sein. Auch heute noch wird jeden Sonntag telefoniert.

Am Ende einer Fußballerkarriere zieht man Bilanz. Wie sieht denn die Bilanz Ihrer Reporterinnenkarriere aus, worauf sind Sie stolz?

Sabine Töpperwien: Ich bin einfach dankbar, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Und ich bin sehr glücklich, dass ich 31 Jahre meinen Traum beim WDR leben durfte. Ich habe versucht, viel zurückzugeben, positive Akzente zu setzen. Und ich hoffe, auch dazu beigetragen zu haben, dass Frauen heute regelmäßig über Männerfußball berichten. Ich denke, dass ich in Deutschland dafür einige Türen geöffnet habe.

Was sind die Gründe für Ihren vorzeitigen Abschied?

Sabine Töpperwien: Ich bin jetzt 60 und habe seit knapp einem Jahr chronische Schmerzen in den Nerven und Sehnen beider Arme. Das ist eine Folge der immer mehr gewordenen Computerarbeit, die mittlerweile 80 Prozent des Tagesgeschäfts ausmacht und nicht mehr von mir zu leisten ist. Mit halbem Dampf arbeiten – das will ich nicht. Also habe ich mich entschlossen, Platz zu machen – und meine Gesundheit in der Vordergrund zu stellen.

Wie sieht denn künftig ein Samtagnachmittag im Leben von Sabine Töpperwien aus. Werden sie um 15.30 Uhr WDR 2 einschalten oder etwas ganz anderes machen?

Sabine Töpperwien: Fußball ist und bleibt meine Leidenschaft. Mein Samstag ist "WDR2 Liga Live" – ohne Bundesliga im Radio kann ich mir mein Leben nicht vorstellen. Ansonsten bleibt nun endlich Zeit für meine Hobbies wie meinen Garten oder das Reisen – nach Corona. Und das Wichtigste: Meine Vorbereitungen zum 95. Geburtstag meiner Mutter in gut zwei Jahren können jetzt in aller Ruhe beginnen.