Die Podcast-Reihe „1LIVE Ikonen – Die Toten Hosen“ erzählt die 40-jährige Bandgeschichte von den Anfängen in der rheinischen Kreisstadt Mettmann bis zu ihrem heutigen Status als eine der kommerziell erfolgreichsten deutschen Bands. Auch der tiefste Punkt der Düsseldorfer Punkrocker kommt zur Sprache, als im Juni 1997 im Düsseldorfer Rheinstadion eine Zuschauerin im Gedränge vor der Bühne zu Tode kam.
Die ursprünglich zehnteilige Reihe - inzwischen erweitert um eine elfte Folge mit Fan-Feedbacks - kommt auf mehr als eine Million Abrufe. Und die Zahlen steigen weiter. Außerdem gab und gibt es viel Lob von den Hörer:innen:
Warum also haben die Audios über die Hosen-Bandgeschichte einen solchen Erfolg? Ein Interview mit Jochen Schliemann, 1LIVE-Redakteur und Host des Podcast über Empathie als Brücke zu den Hörer:innen und seinen eigenen Toten-Hosen-Moment als Elfjähriger.
Jochen Schliemann, was war für Sie als Host der überraschendste Moment im Podcast?
Podcast-Host Jochen Schliemann
Jochen Schliemann: Diese Rampe von Erfolg, die sich langsam aufbaut für fünf kleine Düsseldorfer Punks, die eigentlich einfach nur Chaos machen wollen. Und dann wird diese Rampe immer steiler und länger, die Band hat immer mehr Erfolg und am größten Moment der Karriere, beim tausendsten Konzert im Düsseldorfer Rheinstadion, bricht alles zusammen. Was macht das mit der Band, mit den Menschen, wenn im schönsten Augenblick alles ganz fürchterlich wird? Das ist das Interessante für einen Musikjournalisten: Du zeichnest das große Bild, also nicht nur die Musik, nicht nur den Künstler, es wird ein Stück Geschichte verständlich. Und es wird klar, warum die Musik der wilden Anfangsphase bis zu diesem Moment so klang und danach anders. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit ist das, was die Toten Hosen heute ausmacht. Und viele Menschen, die die Hosen heute hören, sind vielleicht diesen langen Weg der Band mitgegangen: der Umgang mit Schicksalsschlägen und mit dem Leben an sich, mit den guten und schlechten Seiten, mit den lustigen Songs, den traurigen, den todernsten und den Saufliedern.
Für den Podcast wurden mehr als 20 Stunden Interviews geführt, es gibt jede Menge O-Töne von Campino, der Band und vielen Wegbegleiter:innen. Dazu natürlich immer wieder Musik von den Toten Hosen. Das musste doch ein Erfolg werden - quasi als Selbstläufer, oder?
Naja, Erfolg ist einerseits eine Frage von Zahlen, andererseits eine Frage von Qualität. Diese 40 Jahre Bandgeschichte, zugleich ein wichtiges Kapitel deutscher Musikgeschichte, auf ein Level runter zu brechen, das sich leicht konsumieren lässt und trotzdem eine Tiefe hat, das ist eigentlich der Erfolg, den wir feiern. Dafür steht auch eine andere Zahl: Über 80 Prozent von mehr als einer Million Hörer:innen sind Durchhörer. Das schaffst du nur, wenn du alles wirklich gut erzählst.
Und mal andersherum gefragt: Welche Fehler haben Sie nicht gemacht?
Wir sind nicht jeder Anekdote, Facette oder Nebenperson nachgegangen, die die Toten Hosen-Geschichte bietet. Und wir haben die Band weder blind verurteilt noch blind gefeiert. Wir haben keine Hofberichterstattung gemacht, aber die Band auch nicht total auseinandergenommen. Wir haben Neutralität bewahrt und versucht, ein zeitloses Dokument zu schaffen.
In einer Folge erzählen Sie, wie Sie als Elfjähriger im Kinderzimmer zum ersten Mal die Toten Hosen hören und komplett begeistert sind. Ist das noch neutral genug?
Das war einer der beiden Momente, in denen ich ein bisschen aufgemacht habe auf einer persönlichen Ebene. Das habe ich sonst vermieden, denn eigentlich bin ich kein Fan der Toten Hosen. Ich war immer Team Ärzte, was natürlich eine total schwachsinnige Unterscheidung ist. Es gab sogar mal Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bands. Aber inzwischen respektieren die sich gegenseitig. Für mich waren die Toten Hosen ein journalistischer Gegenstand, aber seit diesem Podcast weiß ich die Hosen viel mehr zu schätzen, weil ich verstehe, wie kompromisslos diese Band war, wie viele Schicksalsschläge sie einstecken musste und wie sie ihre Haltung bewahrt hat.
Als Host kommentieren Sie häufig und erklären viele Momente recht emotional. Zum Beispiel, warum sich etwas wie anfühlen muss für Campino oder andere Protagonisten des Podcast.
Für mich war das einfach Empathie für meine Gegenüber. Mir geht es nicht nur um die Toten Hosen, sondern um die Leute, die den Podcast hören. In dieses riesige Projekt, bei dem auf sachlicher und faktischer Ebene alles stimmen muss, wollte ich ein bisschen Lockerheit und Natürlichkeit reinbringen. Deshalb habe ich viel kommentiert oder auch mal gelacht und selbst einen Spruch gebracht, um die Hörer:innen mitzunehmen und das Gefühl aus den Gesprächen mit den Künstler:innen rüberzubringen. Das schwingt auf der reinen Tonebene nicht immer ganz mit.
Diese Empathie trägt also dazu bei, dass der Podcast so viele Hörer:innen hat?
Ja, denn damit kannst du zwischen den Künstlern und den Hörer:innen vermitteln. Und auch deshalb hat uns das vielfältige, emotionale, fast hingebungsvolle Feedback sehr gefreut. Es gab so lange und so detaillierte Mails und Nachrichten.
Wie sind Sie mit dem großen Feedback der Hörer:innen umgegangen?
Es gab wirklich sehr viele Rückmeldungen. Wir haben mal grob geschätzt und sind auf vielleicht 250 Mails, 300 Nachrichten über WhatsApp beziehungsweise die Hotline-Nummer und rund 800 Rückmeldungen über Social Media gekommen. Auffallend war die ‚Tiefe‘, die Qualität der Rückmeldungen, teils seitenlang zu den Toten Hosen als Band und auch zu den Emotionen, die durch sie ausgelöst wurden. Das ist die Idee und die Grundlage der elften Folge. Geplant waren zehn Folgen. In der zusätzlichen Folge geht es nur um die Geschichten der Fans und was ihnen diese Band bedeutet.
Auch ein Erfolg.
Und es zeigt, dass Podcasts die Möglichkeit bieten, guten Musikjournalismus zu machen, weil man den Themen einen gewissen Raum geben kann, eine Tiefe, die ‚on air‘ nicht mehr zu leisten ist. Natürlich konnten wir Teile des Podcasts auch im Programm verwenden und es damit bereichern. Aber im Podcast tatsächlich fast beliebig in die Tiefe zu gehen und gleichzeitig spannend erzählen zu können, war eine Stärke des Formats. Wir haben mit diesem Podcast ein zutiefst öffentlich-rechtliches Produkt geschaffen.