Wladyslaw Szpilman am Flügel (1946)

Stichtag

5. Dezember 1911 - Geburtstag des Pianisten Wladyslaw Szpilman

Es ist Samstag, der 23. September 1939, als rund um das Funkhaus Warschau Bomben einschlagen. Der deutsche Angriff auf die polnische Hauptstadt hat begonnen. Bei Radio Warschau lauschen die Hörer gerade Chopins Nocturne in cis-moll, doch "in dem Getöse hörte ich kaum die Klänge des eigenen Flügels", berichtet später der Pianist Wladyslaw Szpilman. Dann trifft eine Granate das Elektrizitätswerk. Drei Wochen nach Beginn der Invasion verstummt der freie polnische Rundfunk und mit ihm die den Nazis verhasste Musik Chopins.

Wladyslaw Szpilman, geboren am 5. Dezember 1911, gelingt es, heil zu seinen Eltern, zwei Schwestern und dem Bruder zurückzukehren. Doch die gutbürgerliche Welt der jüdisch-stämmigen Szpilmans steht vor dem Untergang. Ab 1940 reduzieren die Nazi-Truppen das gesamte jüdische Leben der Millionenstadt auf ein menschenverachtendes Dasein im Warschauer Getto. Mehr als zwei Drittel der 500.000 eingepferchten Menschen stirbt dort oder wird auf Viehwaggons in das Vernichtungslager Treblinka abtransportiert. Wladyslaw Szpilmans gesamte Familie wird umgebracht. Nur der dreißigjährige Pianist entgeht, von Freunden versteckt, der Tötungsmaschinerie.

Ein deutscher Offizier schämt sich

Anfang 1943 fristen gerade noch 60.000 Getto-Insassen unter unsäglichen Bedingungen ein Leben auf Abruf. Verkrochen in wechselnden Mansarden kämpft der 31-jährige Szpilman lautlos komponierend gegen Einsamkeit, Angst und Hunger an. Im Frühjahr beobachtet er aus einer Dachluke die vernichtende Niederschlagung des Gettoaufstandes. Danach ist Szpilman völlig allein, einer der letzten Überlebenden in einer toten Ruinenstadt. Es folgen endlos lange Tage, die er, um Kräfte zu sparen, nahezu regungslos verbringt. Nachts huscht er auf der Suche nach Ess- und Trinkbarem durch die Trümmer. Ende November 1944 wird Szpilman in einem Schlupfwinkel entdeckt und beschossen. Panisch flüchtet er in ein anderes Haus.

Es ist das Haus, in dem zur selben Zeit das deutsche Festungskommando Quartier bezieht. Als der ahnungslose Szpilman eine Speisekammer durchsucht, wird er von einem Hauptmann der Wehrmacht überrascht. Wilm Hosenfeld, groß, blond, im Zivilleben Lehrer und lange glühender Nazi, begegnet Szpilman mit vorsichtigem Respekt – und verrät ihn nicht. Szpilman erzählt ihm seine Geschichte und fragt ungläubig: "Sind Sie Deutscher?" "Ja", antwortet der Hauptmann. Und nach allem, was geschehen ist, schäme ich mich dafür.“ Hosenfeld führt den Pianisten in eine andere Wohnung zu einem Flügel und fordert ihn auf zu spielen. Mit angststarren Fingern spielt Wladyslaw Spzilman, wie im September 1939, Chopins Nocturne in cis-moll.

Polanskis filmisches Denkmal

Wilm Hosenfeld versorgt seinen Schützling, so gut er kann. Seit längerem schon sabotiert er den Nazi-Apparat und unterstützt zahlreiche Getto-Überlebende. Mitte Dezember 1944 sieht Szpilman seinen Retter zum letzten Mal. Hosenfeld wird abkommandiert, kurz darauf gerät er in russische Gefangenschaft. Als vermeintlicher Spion in monatelangen Verhören gefoltert, wird er 1950 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Sieben Jahre später stirbt Wilm Hosenfeld halb gelähmt mit 57 Jahren im Straflager von Stalingrad. Auf Initiative von Szpilman und dessen Sohn Andrzej nimmt ihn die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem 2008 unter die "Gerechten der Völker" auf.

Wladyslaw Szpilman wird im Januar 1945 von den Sowjets aus seiner Gefangenschaft erlöst. Am 15. März sitzt er erstmals wieder am Konzertflügel im Funkhaus und spielt das Nocturne von Chopin. Als Pianist, Komponist und Musikdirektor des Warschauer Rundfunks wird Szpilman in den folgenden Jahrzehnten zu nationalen Instanz. Roman Polanski, ein Überlebender des Krakauer Gettos, verfilmt seine Memoiren und setzt Szpilman 2002 mit "Der Pianist" ein beklemmend einfühlsames Filmdenkmal - ihm und seinem Lebensretter Wilm Hosenfeld. Die Premiere erlebt Wladyslaw Szpilman nicht mehr. Mit 88 Jahren stirbt er am 6. Juli 2000 in seiner Heimatstadt Warschau.

Korrektur: In der zunächst veröffentlichten Fassung wurde Wilm Hosenfeld als Angehöriger der SS bezeichnet. Dies ist nicht korrekt. Hosenfeld war Offizier der Wehrmacht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Stand: 05.12.2011

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