Stichtag

10. November 1890 - Erster Gartenzwerg vorgestellt

Gartenzwerge haben eine Seele. Davon ist Reinhard Griebel aus Gräfenroda überzeugt. "Aus diesem Grund kann nur Gutes vom Gartenzwerg ausgehen", sagt der Nachfahre von Philipp Griebel, in dessen thüringischer Manufaktur am 10. November 1890 wohl das erste Exemplar in heutiger Form dem Brennofen entschlüpfte. "Wenn es einmal Streit geben sollte, dann geht dieser Streit niemals vom Gartenzwerg aus, sondern immer vom Menschen."

Inzwischen produziert Reinhard Griebel seine Gartenzwerge für deutsche Vorgärten und Schrebergartenkolonien in der vierten Generation. Ein Leben ohne Tonwichtel kann er sich auch für die kommenden Familiengenerationen gar nicht vorstellen. "In unseren Adern rollt ja das Zwergenblut. Und ich glaube, wir kommen auch hiervon nicht weg, selbst wenn wir wollten."

Kultfigur mit Migrationshintergrund

Bis heute gilt der Gartenzwerg vielen als Inbegriff deutscher Spießigkeit. Dabei hat er eindeutig Migrationshintergrund. Griechen und Römer stellen eine "Priap" genannte Zwergenfigur mit riesigem Phallus in Gärten und Weinberge, um Diebe abzuschrecken. Im 13. Jahrhundert platzieren die Besitzer von Bergwerken in der heutigen Osttürkei kleine Abbilder ihrer afrikanischen Pygmäensklaven in der Landschaft, um deren "dämonischen Kräfte" zu bannen. Diese Tonfiguren tragen die "Phrygische Mütze" der Region: Vorbild der legendären Zipfelmütze.

Seinen eigenen ersten Gartenzwerg aus Terrakotta soll Philipp Griebel bereits 1872 in seinem Garten aufgestellt haben. Aber erst 18 Jahre später entwickelt er daraus gemeinsam mit anderen Modelleuren aus Gräfenroda eine Weg weisende Geschäftsidee. "Im Tal der Gera, zwischen den Bergen, liegt die Heimat von den Zwergen" lautet einer seiner Werbesprüche.

Gnömchen mit Stinkefinger

Damals heißen die Zwerge noch "Gnömchen", ihre thüringischen Produzenten "Gnömchenmacher". Aber sie haben schon ihr Gardemaß von rund 70 Zentimetern, sind handbemalt und lächeln immer. Da Griebel seine Idee nicht patentieren lässt, kann sich der Gartenzwerg ungebremst über ganz Deutschland verbreiten. Seine größte Population erreicht er in den 50er und 60er Jahren: In der bundesrepublikanischen Wirtschaftswunderzeit erfüllt er die Sehnsucht der Westdeutschen nach Ordnung und Idylle. In der DDR hingegen wird der Wichtel bereits 1948 als "kleinbürgerlich" verboten.

In den 90er Jahren kämpft der Gartenzwerg gegen dieses Image an. Mit Messern im Rücken wird er angeboten, in Lack und Leder, mit Stinkefinger oder mit dem Konterfei von Politikern. Das sieht nicht jeder Nachbar gern: Die "Anti-Gartenzwerge" beschäftigen manche Gerichte.

Zu dieser Zeit kümmert sich ohnehin schon das Ausland um Bestandsschutz und das Wohlergehen des Ursprungsgartenzwergs. 1981 gündet sich in Basel die "Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge". Und zur Jahrtausendwende befreit die anarchistische "Front de Liberation des Nains de Jardins" aus Frankreich die zipfelbemützten Wichtel aus ihrem jägerzaunumsäumten Ghetto und setzt sie in ihrem "natürlichen Lebensraum" wieder aus: dem Wald.

Stand: 10.11.2015

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