"Wer Schuld hat, muss zahlen." Dieses Scheidungsprinzip gilt nach Einführung der Zivilehe 1875 in Deutschland 100 Jahre lang. Erst 1976 schafft der Bundestag mit einer Reform des Eherechts den Begriff der Schuld ab; Scheidungen werden nun nach dem Zerrüttungsprinzip ausgesprochen. Grundlage für Unterhaltsansprüche ist das Abgleichen der wirtschaftlichen Leistungskraft der ehemaligen Ehepartner, unter Betonung der Eigenverantwortlichkeit: Geschiedene sind grundsätzlich für ihren nachehelichen Unterhalt selbst verantwortlich.
Zahlreiche Einschränkungen und Gummiparagrafen im Reformgesetz führen allerdings zu teils absurden finanziellen Scheidungsfolgen. In seiner Regierungserklärung 1984 verkündet Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) deshalb: "Im Scheidungsrecht brauchen wir mehr Gerechtigkeit im Einzelfall."
Lebenslang versorgt
Vor allem die Verpflichtung zum unbefristet zahlbaren Arbeitslosigkeits- oder Aufstockungsunterhalt erregt die Gemüter der Betroffenen. In der Öffentlichkeit heiß diskutiert wird damals etwa das Modellbeispiel von Chefarzt Dr. X, Monatsgehalt 10.000 D-Mark, der seine Sekretärin Y, Monatsgehalt 2.000 DM, heiratet. Lässt sich Frau Y nach drei Jahren scheiden, stehen ihr für während der Ehe entgangene Berufschancen drei Siebtel der Differenz beider Gehälter als monatlicher Unterhalt zu: rund 3.500 DM, ihr Leben lang – oder bis zur nächsten Hochzeit. Ebenso unbefristet zahlbar ist Unterhalt für Kinder und Ausbildung sowie bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit, der dann, unbesehen vorhandener Verdienstmöglichkeiten, nahtlos in den Altersunterhalt übergehen kann.
Kein Unterhalt bei Fehlverhalten
Zwei Jahre nach Helmut Kohls Regierungserklärung unterstreicht der Bundestag am 20. Februar 1986 mit einem Unterhaltsänderungsgesetz deutlich die Pflicht zur Eigenverantwortung. Es setzt dem lebenslänglichen Unterhalt Grenzen und erweitert jene Härte-Klauseln, in denen kein Unterhalt gezahlt werden muss. Seit 1976 gelten als "unterhaltsvernichtend" neben einer kurzen Ehedauer schwere vorsätzliche Vergehen oder Verbrechen sowie mutwilliges Herbeiführen von Bedürftigkeit durch den Unterhaltsberechtigten. Mit der Novelle wird nun auch offensichtliches Fehlverhalten, im Juristendeutsch "einseitiges Ausbrechen aus der Ehe", in das Scheidungsfolgenrecht aufgenommen.
Seitdem hat der Gesetzgeber das Prinzip Eigenverantwortung nach der Ehe immer weiter gestärkt, zuletzt mit dem Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts, das seit Januar 2008 in Kraft ist.
Stand: 20.02.2011
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