Der Love&Peace-Mythos Woodstock beginnt mit einer Anzeige im Wall Street Journal: "Junge Leute mit unbeschränktem Kapital suchen interessante, legale Geschäftsideen." Die Inserenten sind Joel Rosenman und John Roberts, beide Anfang zwanzig, Jungbanker mit schwerreichen Eltern und wenig Lust auf "Business as usual". Im Februar 1969 lassen sich die Upperclass-Boys aus Manhattan auf einen folgenschweren Deal mit Amerikas Gegenkultur ein.
Mike Lang und Artie Kornfeld, zwei ebenso junge, aber ziemlich abgebrannte Musikproduzenten, verkaufen ihnen die Idee zu einem Hippie-Festival in Woodstock. Mit dem Gewinn wollen sie in dem Städtchen in den Catskill Mountains ein Tonstudio finanzieren. Turbulente sechs Monate später haben Lang und Kornfeld das legendärste Event der Popgeschichte gestemmt und die beiden Finanziers knapp zwei Millionen Dollar Miese auf dem Konto.
Ein Milchfarmer rettet das Festival
Rund 60.000 Besucher pro Tag erwarten die Veranstalter zu ihren "3 Days of Peace & Music". Als den Bürgern von Woodstock die Dimension der zu erwartenden Hippie-Welle klar wird, verbieten sie das Festival einen Monat vor dem geplanten Termin. 70 Kilometer weiter in Bethel betreibt der 49-jährige Max Yasgar die größte Milchfarm der Gegend. Zum Ärger seiner Nachbarn vermietet der stramme Republikaner für 50.000 Dollar eine große Weide als Ausweich-Festwiese. Am Namen Woodstock halten Lang und Kornfeld aber trotz der Verlegung nach Bethel fest.
Was sich vom 15. August bis zum Morgen des 19. August 1969 auf Yasgars Farm abspielt, kennen Abermillionen Rockfans aus Michael Wadleighs berühmtem Dokumentarfilm. Richie Havens, Carlos Santana und Joe Cocker starten in Woodstock ihre Weltkarrieren. Protestsängerin Joan Baez betört die Menge mit ihrer Glockenstimme. The Who, Sly Stone und Ten Years After liefern legendäre Auftritte. Nicht wenige der insgesamt 32 Gruppen und Solisten sind mindestens so stoned wie ein Großteil ihres Publikums. Und zum Schluss zersägt Jimi Hendrix grandios die US-Nationalhymne.
Die Army als Freund und Helfer
Zum Mythos, zur "Mutter aller Open-Air-Festivals", wird Woodstock aber nicht zuletzt durch all das, was schief läuft. Rund eine Million Menschen machen sich auf den Weg in die beschaulichen Catskill Mountains und verursachen einen historischen Verkehrsstau. Etwa 400.000 schaffen es bis zum Festival, reißen die Zäune nieder und Mike Lang muss verkünden: "This is a free concert from now on!" Die gesamte Infrastruktur – Verpflegung, Toiletten, medizinische Versorgung – kollabiert schon nach wenigen Stunden. Dauerregen wirbelt das Programm durcheinander und verwandelt die Yasgar-Weide in einen riesigen Schlammtümpel.
Schließlich muss Gouverneur Nelson Rockefeller das Festivalgelände zum Katastrophengebiet erklären, damit die US-Army Lebensmittel und Ärzte ein- und medizinische Notfälle ausfliegen kann. Dieselbe Army, die gerade in Vietnam einen verhassten Krieg führt, erweist sich in Woodstock als Freund und Helfer. Trotz des allerorten herrschenden Chaos geht das Festival friedlich über die Bühne. Vier Tage lang wird die Utopie der Flower-Power-Generation von einem anderen Amerika wahr. Woodstock ist der Höhepunkt und auch das Finale der unbeschwerten Hippie-Ära. Danach übernimmt das Big Business endgültig das Kommando über die Jugendkultur.
Stand: 15.08.2014
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