Die Rattenfängerstatue in der Innenstadt von Hameln

Stichtag

26. Juni 1284 - Rattenfänger von Hameln entführt 130 Kinder

Überliefert ist, dass ein bunt gekleideter Mann mit seiner Flöte die Kleinstadt an der Weser betritt. Die Bewohner sind in Sorge wegen einer Rattenplage, der Mann verspricht, sie gegen den vereinbarten Lohn zu beseitigen. Der Mann lockt die Ratten und Mäuse mit seinem Flötenspiel aus Hameln hinaus. Indes: Statt Lohn zu erhalten, wird er von den Bürgern der Stadt verwiesen.

Am 26. Juni 1284 kommt der Mann zurück. Diesmal trägt er das Gewand eines Jägers, "erschrecklichen Angesichts", wie in den "Kinder- und Hausmärchen" (1812/1858) der Gebrüder Grimm zu lesen ist, "mit einem roten, wunderlichen Hut, und ließ seine Pfeife in den Gassen hören". Die Bürger von Hameln sind in der Marktkirche versammelt und gerade beim Gregorianischen Gesang, als der Rattenfänger seine Melodie erklingen lässt.  

War es ein Werber?  

Diesmal folgen dem seltsamen Mann nicht Ratten und Mäuse, sondern "Kinder, Knaben und Mägdelein vom vierten Jahr an, worunter auch die schon erwachsene Tochter des Bürgermeisters war." 130 sollen es insgesamt gewesen sein, die, durch das Osttor der Stadt geführt, auf Nimmerwiedersehen in einem Berg verschwinden. Nur drei Kinder seien dem Rattenfänger durch die Lappen gegangen, wissen die Grimms: ein blindes, ein stummes – und eines, das zurückgekehrt sei, um sein Obergewand zu holen.  

Über den weiteren Fortgang der Geschichte gibt es verschiedene Versionen. Das Grimm’schen Märchen legt nahe, dass die Kinder durch eine Höhle im Berg bis nach Siebenbürgen gelangt seien. Wenn es nach dem Namensforscher Jürgen Udolph geht, könnte hier der wahre Kern der Sage stecken. Im 13. Jahrhundert seien Zehntausende Menschen aus der Region nach Osten ausgewandert, gelockt von Werbern, gibt Udolph an: "Sie haben meistens einen Trommler oder Flötenspieler dabei, stellen sich hin, trommeln erstmal ein bisschen, bis die Leute aufmerksam werden. Und dann sagt der: Leute, ich verspreche euch ein neues Leben. Wenn ihr mit mir kommt, bekommt ihr ein Stück Land." Demnach wären die Kinder aus dem verseuchten Hameln in eine bessere Zukunft geflohen.  

Ein Balken Wahrheit?  

Aber es gibt auch noch eine andere Theorie. Sie wird unter anderem vom Heimatforscher Gernot Hüsam vertreten. Er glaubt, dass hinter dem "Geheimnis der Sage" ein Massenmord steckt: in Auftrag gegeben vom Grafen von Spiegelberg, dem die ausgelassen-sinnlichen Spiele der Jugendlichen auf seinem Hausberg ein Dorn im Auge gewesen seien. Demnach hat der christliche Sittenwächter den heidnischen Ausschweifungen ein Ende setzen wollen und die jugendlichen Übeltäter in einer Höhle verschütten lassen. Knochenbeweise allerdings fehlen.

Aber: Steckt in der Sage überhaupt ein Quäntchen Wahrheit? Historiker berufen sich unter anderem auf eine Inschrift, die auf dem Balken eines Tores steht, das 272 Jahre nach dem Ereignis errichtet wurde: "Anno 1284 am Dage Johannis et Pauli dorch einen Piper mit allerley Farbe bekledet gewesen CXXX Kinder verledet binnen Hamlen geboren zu Calvarie verloren", steht dort zu lesen.

Die Frage nach Dichtung oder Wahrheit mag Hameln inzwischen ohnehin egal sein. Mit Rattenfänger-Denkmal, Rattenfänger-Hotel, Rattenfänger-Musical und Rattenfänger-Devotionalien leben die Bürger im ansonsten eher beschaulichen Ort ganz gut vom Mythos.

Stand: 26.06.2014

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