Stichtag

4. Mai 2009 - Fritz Muliar stirbt in Wien

"Ich bin ein Patriot aus Leidenschaft, ich bin ein Schauspieler aus Leidenschaft, ich bin ein Wiener aus Leidenschaft", sagt Fritz Muliar über sich. Das Publikum schätzt seinen Charme und seine komödiantische Vielseitigkeit. Berühmt wird er in den 1970er Jahren als Hauptdarsteller der Fernsehserie "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Ersten Weltkrieg". Schwejk narrt mit Witz die Autoritäten - eine Paraderolle für den Österreicher. Er spielt gern den kleinen Mann, der getreten wird - und auch mal zurücktritt: "Das heißt, der sich wehrt, der ein bisschen rebellisch ist und der die Macht ad absurdum zu führen versucht."

Muliar nimmt auch sonst kein Blatt vor dem Mund: "Ich bin gezwungenermaßen ein Sozialdemokrat, weil ich nirgends anders meine Heimat finden kann - ich mag rechtsrandige Parteien nicht." Er legt sich mit FPÖ-Chef Jörg Haider an und protestiert, als der ehemalige Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim Österreichs Präsident werden will: "Ich kann gar nicht sagen, wie mich die ganze Sache anekelt."

Wegen "Wehrkraftzersetzung" verurteilt

Geboren wird der Volksschauspieler am 12. Dezember 1919 in Wien - als uneheliches Kind mit dem Namen Friedrich Ludwig Stand. Über seinen leiblichen Vater sagt Muliar: "Er war ein guter Offizier und später ein guter Nazi - aber er war ein schlechter Vater." Um sein Kind habe er sich nicht gekümmert. Seine Mutter Leopoldine ist Sekretärin in einer Bank und engagierte Sozialdemokratin. Sie heiratet 1924 den jüdischen Ukrainer Mischa Muliar, der sich als Juwelier in Wien niederlässt. Seine Toleranz wird für den kleinen Fritz zum Vorbild. Für die Schule interessiert er sich hingegen nicht. Er verlässt das Gymnasium mit der sogenannten kleinen Matura. Ihm ist klar, dass er Schauspieler werden will.

Sein erstes Engagement hat Muliar 1937 am linken Wiener Kabarett "Der lustige Augustin". Als im Jahr darauf die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert, verlässt die jüdische Leiterin das Land. Vorher schneidet sie ein paar Stücke vom roten Vorhang ab und schenkt sie ihren Mitarbeitern. Muliar trägt den Stoff auch noch bei sich, als er 1940 eingezogen und an die Front geschickt wird. Wegen angeblicher "Wehrkraftzersetzung" wird er 1942 zum Tod verurteilt. Nach seiner Begnadigung muss er als Strafsoldat Minen räumen. Am Kriegsende gerät er in Italien in britische Gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr nach Österreich erhält er ein dreijähriges Engagement in Graz und spielt in Wien am Volkstheater.

Auf der Bühne bis zum Schluss

1974 geht für Muliar ein Traum in Erfüllung: Er wird Mitglied des Burgtheater-Ensembles. "Ich habe niemals gedacht, dass ich dieses Theater jemals verlassen werde", sagte Muliar später. Doch 20 Jahrespäter geht er im Zorn. Er kann den neuen deutschen Theaterdirektor Claus Peymann nicht ertragen: "Er ist ein unerzogener Mann, mit dessen Art und Weise ich nichts zu tun haben will." Peymann bezeichnet Muliar im Gegenzug als "hundertprozentigen Volltrottel".

Trotz dieses Zerwürfnisses ist Muliar auch weiterhin gut beschäftigt, unter anderem an Bühnen in Wien, Salzburg und Hamburg. Außerdem wirkt er während seines Lebens in rund 80 Spielfilmen und über 120 Fernsehproduktionen mit. Manchmal sind es nur kleine Rollen wie etwa in den Serien "Kommissar Rex" und "Kir Royal". Als Meister des böhmischen und jiddischen Humors gestaltet er Vortragsabende und schreibt Bücher. Auch mit 89 Jahren steht Muliar noch auf der Bühne: "Ich kann mir ein Leben ohne Theater nicht vorstellen." Nach einer Aufführung von Peter Turrinis Stück "Die Wirtin" geht er nach Hause, bricht zusammen und stirbt in der Nacht auf den 4. Mai 2009. Gewünscht hat er sich, dass bei der Grabrede seine Vorliebe für Mohnnudeln erwähnt wird.

Stand: 04.05.2014

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