Stichtag

19. März 1959 - China schlägt den Tibet-Aufstand nieder

Wem gehört Tibet? Der historische Streit zwischen Chinas Herrschaftsanspruch und dem tibetischen Verlangen nach Unabhängigkeit flammt 1949 nach dem Sieg der Kommunistischen Partei in Peking neu auf. Ein Jahr nach Ausrufung der Volksrepublik schickt Chinas Führer Mao Zedong die Volksbefreiungsarmee in den seit 1912 unabhängigen Nachbarstaat am Dach der Welt.

Zunächst verhalten sich die Soldaten wie Freunde und nehmen kaum Einfluss auf den Alltag in Tibet. Der 16-jährige Tendzin Gyathso, als 14. Dalai Lama das geistliche und politische Oberhaupt der Tibeter, zeigt sogar Interesse für den Marxismus und tauscht Briefe mit Mao aus. Doch dann nehmen die Repressalien der Besatzer zu, immer häufiger kommt es zu Unruhen mit Massenverhaftungen und Todesopfern. Sie eskalieren im März 1959 in einem Aufstand der Tibeter, der Zehntausende das Leben kostet und den Dalai Lama wie Hunderttausende seiner Landsleute ins Exil zwingt.

Flucht in Soldatenuniform

Auslöser der folgenschweren Ereignisse ist ein Ultimatum an den Dalai Lama. Auf Anordnung von Chinas Befehlshaber General Tan soll sich Tendzin Gyathso am 10. März 1959 ohne Leibwache im Militärlager in der Hauptstadt Lhasa einfinden – angeblich zu einem Theaterbesuch. In Windeseile verbreitet sich unter den Tibetern das Gerücht, ihr heiliges Oberhaupt solle entführt werden. 30.000 Menschen umstellen daraufhin den Norbulingka, den Sommerpalast des Dalai Lama, und verhindern dessen Gang zu den Besatzern.

In den folgenden Tagen eskalieren die Proteste. Barrikaden werden errichtet und die meisten chinesische Geschäfte in Lhasa verwüstet. 19 Chinesen kommen angeblich dabei ums Leben. Als bekannt wird, dass General Tan den Aufstand niederwerfen und den Norbulingka bombardieren lassen will, entschließt sich der Dalai Lama zu fliehen. Am Abend des 17. März gelingt es ihm, in der Verkleidung eines Soldaten zu entkommen. Mit Hilfe von Guerillas erreicht der Dalai Lama nach mehr als einem Monat die indische Stadt Dharamshala, wo er die tibetische Exilregierung ins Leben ruft.

Kontrolle durch gezielte Überfremdung

In Lhasa bricht am 19. März der offene Kampf gegen die Fremdherrscher aus. "Als die chinesische Seite begriffen hatte, dass der Dalai Lama geflohen war, hat man jede Zurückhaltung aufgegeben und ist mit brutaler Gewalt gegen die viel schlechter bewaffneten Guerillas vorgegangen", berichtet Ulrich Delius, Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Wie angekündigt lässt General Tan den Norbulingka-Palast bombardieren. Nach zwei Tagen ist jeder Widerstand gebrochen und Mao Zedong nutzt die Gelegenheit, um Tibet mit einer radikalen "Säuberungsaktion" endgültig zu unterwerfen. Dabei werden nach tibetischen Angaben insgesamt 87.000 Menschen umgebracht.

Im Verlauf der "Großen Proletarischen Kulturrevolution" 1966 bis 1976 werden fast alle Klöster und Tempel in Tibet zerstört. Chinas Anstrengungen, die Tibeter gewaltsam zum Kommunismus umzuerziehen, schlagen jedoch fehl. Während der Dalai Lama weltweit um Verbündete im Unabhängigkeitskampf wirbt, lehnt Peking jeden Kompromiss ab und setzt schließlich auf eine Überfremdung des Landes. Nach Erkenntnissen des Bonner Tibet-Forschers Dieter Schuh stellen Chinesen inzwischen die Bevölkerungsmehrheit und sitzen an allen Hebeln der Macht. Seit 2008 kommt es deshalb immer wieder zu Unruhen und zu verzweifelten Selbstverbrennungen von meist jungen Tibetern. Eine Lösung für das unterjochte Land ist nicht in Sicht.

Stand: 19.03.2014

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