"Der Berg ist immer stärker. Den Berg interessiert nicht, wer oder was kommt", sagt Lorenz Frutiger, Bergführer an der Eiger-Nordwandim Schweizerischen Berner Oberland, einer der schwierigsten Wände der Alpen. Sie verlangt einem Bergsteiger alles Können ab. Wetterstürze, Lawinen, Gewitter und Steinschlag machen die Wand der Wände so gefährlich. "Der Berg ist ehrlich. Er ist immer derselbe und gibt direkt Rückmeldung, ob man genügend trainiert hat, ob man wirklich bereit ist, ihn zu erklettern", sagt Frutiger, der sie etwa zweimal im Jahr mit Kollegen oder Gästen begeht.
Die "letzten drei Probleme der Alpen"
Die Nordwände des Eiger, des Matterhorns und der Grandes Jorasses im Mont Blanc-Gebiet gelten in den 1930er-Jahren unter Bergsteigern als die "letzten drei Probleme der Alpen". Die Kletter-Elite liefert sich einen Wettlauf. Die Nordwand des Matterhorns wird 1931 erklettert, die der Grandes Jorasses 1935. "Erst als die Grand Jorasses-Nordwand durchstiegen war, fiel das Interesse auf jene des Eigers – mit knapp 1.700 Metern die höchste der drei Wände. Das waren harte Kerle, die sich an eine solche Wand gewagt haben", erklärt der Eiger-Experte und Historiker Rainer Rettner.
1935 kommen die beiden Münchner Max Sedlmayr und Karl Mehringer bei einem ersten Durchsteigungsversuch ums Leben. Ein Jahr später stirbt eine deutsch-österreichische Vierer-Seilschaft unter dramatischen Umständen. Die Nordwand heißt bald "Mordwand". Auch die Bayern Anderl Heckmair und Ludwig Vörg fühlen sich herausgefordert. Beide sind gut vorbereitet und wissen um die eingelagerten Eisfelder in der Wand. "Man muss auf das Eis gefasst sein. Und danach haben wir uns ausgerüstet", sagt Heckmair.
"Jetzt gibt es kein Umkehren mehr"
Sie besorgen sich neuartige zwölfzackige Steigeisen, mit denen man bis zu 60 Grad steile Eisfelder durchqueren kann. Sie lassen sich 50 Mauereisen schmieden, nehmen 30 Eishaken und 150 Meter Seil mit. Helme haben sie nicht, nur Mützen. Mit den beiden Österreichern Fritz Kasparek und Heinrich Harrer bilden die Männer eine Seilschaft und Anderl Heckmair übernimmt die Führung. Zwei Drittel der Wand sind bekannt, im letzten Drittel findet Heckmair eine eigene Route, die drei Kilometer durch die Wand führt und heute Heckmair-Route heißt. "Über die Rampe, über den Götterquergang, durch die Spinne und die Ausstiegsrisse zum Gipfeleisfeld", wie der Eiger-Experte Rettner erklärt. Damals bricht in der weißen Spinne, einem tückischen Eisfeld, ein Wettersturz über die vier Bergsteigern herein, Sturm, Hagel, Schnee. "Sie hatten größte Mühe, sich in der Wand zu halten", so Rettner. Lawinen krachen die Nordwand herunter, doch so weit oben wie sie sind, gibt es kein Zurück. "Ich war seelisch befreit, als ich gewusst habe: Jetzt gibt es kein Umkehren mehr", sagt Anderl Heckmair im Rückblick.
Nach einer eisigen Biwaknacht klettern sie weiter. 150 Meter trennen sie noch vom Gipfel. Um die Ausstiegsrisse passieren zu können, richten sich die vier Seilpartner nach den Intervallen der Lawinen. Am 24. Juli 1938 gegen halb vier nachmittags erreichen sie den 3.970 Meter hohen Gipfel. "Droben hat uns der Sturm mit seiner vollen Gewalt erwischt. Wir haben uns bloß das Eis aus den Augenbrauen rausgewischt, uns die Hand gegeben und sind wieder runter", erinnert sich Anderl Heckmair, der danach nie wieder durch die Nordwand gestiegen ist. Über die Westflanke steigen sie ab und werden begeistert empfangen. Und Adolf Hitler feiert die deutschen und österreichischen Bergsteiger als Nationalhelden und nutzt sie als willkommene Parabel für den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich.
Stand: 21.07.2013
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