Die New Yorker verdanken ihr Grand Central Terminal einem Eisenbahnunglück. Anfang des 20. Jahrhunderts fauchen die Loks ihre Rauchschwaden mitten in die Häuserschluchten. Im Januar 1902 fahren hunderte von Zügen einen Schuppen an der 42. Straße an, der als Bahnhof dient. Im Qualm übersieht ein Lokführer den vor ihm wartenden Zug und fährt auf. 15 Menschen sterben - und der Stadtrat von New York beschließt ein Verbot von Dampfloks in der Innenstadt. Einige Politiker fordern gar die Verstaatlichung der Bahngesellschaft.
Die Gleise verschwinden unter der Erde
Das private Eisenbahnunternehmen der Vanderbilt-Erben sieht sich zu einer gigantischen Investition gezwungen, um seine Vormachtstellung zu halten. "Die Elektrifizierung macht es möglich, die alten Lokschuppen los zu werden, die Bahnhofsanlagen und den Warteschuppen im Untergrund verschwinden zu lassen. Das war brillant - und extrem teuer", erklärt der Stadthistoriker Mike Wallace.
Die Park Avenue finanziert den Bahnhof
William Wilgus, damals Chefingenieur des Vanderbilt-Konzerns, will die Eisenbahn in zwei Ebenen unter die Straße legen: oben die Fernzüge, unten den Nahverkehr, alles mündend in einen repräsentativen Bahnhof. Für den Kostenvoranschlag von 40 Millionen Dollar bekommt er den Auftrag.
Natürlich wird der Bau viel teurer, doch Wilgus finanziert das Projekt ohne jeden öffentlichen Zuschuss. Er nutzt das größte Kapital der Eisenbahn: die Grundstücke. "Er verwandelt diese riesige Fläche an Gleisen und Anlagen - eine Narbe in der Topographie der Stadt - in das größte Wohnbauprojekt der amerikanischen Geschichte", sagt der Architekt Frank Prial. Über den Gleisen entsteht die Park Avenue mit ihren mondänen Wohnhäusern. Sie sind zwar nicht unterkellert - denn dort fahren die Züge -, dennoch erzielen sie exorbitante Quadratmeterpreise und -mieten. Die Park Avenue finanziert den Bahnhof.
Sternzeichen an der Decke, Tiffany-Uhr in der Halle
Am 2. Februar 1913 wird der - gemessen an der Gleisanzahl immer noch - größte Bahnhof der Welt eröffnet. Sternzeichen in Grün und Türkis schimmern auf einer 40-Meter-hohen Decke, die sich über einer Tiffany-Uhr aus Glas wölbt. Übertroffen wird die Uhr von einer anderen, der Hauptuhr am Portal. Aus florentinischem Glas wurde sie um 1900 gefertigt, zu der Zeit, als sich auch die Titanic im Bau befindet.
Das Grand Central Terminal lebt
Doch ein halbes Jahrhundert später soll der nun alte und baufällig gewordene Bahnhof neuen Gebäuden weichen, wie dem Wolkenkratzer der Fluggesellschaft PanAm. 1961 wird ein Nebengebäude abgerissen, die Haupthalle soll bald folgen. Da stellt sich Jacqueline Kennedy, damals First Lady, an die Spitze einer Protestbewegung. "Wenn jemand ihre historische und spirituelle Vergangenheit zerstört, stirbt etwas in den Menschen", sagt sie.
Zehn Jahre dauert der Kampf um den Erhalt. 1978 wird der Bahnhof schließlich unter Denkmalschutz gestellt, weitere 20 Jahre dauert die Renovierung. Bürgermeister ist damals Ed Koch: "In den letzten Jahrzehnten sind einige unserer historischen Gebäude im Namen des Fortschritts verschwunden. Unsere Wahrzeichen sind eine gefährdete Spezies geworden." Grand Central aber lebt: 500.000 Pendler eilen täglich durch die Empfangshalle. Und es werden immer mehr. Für acht Milliarden Dollar fressen sich zurzeit Bohrköpfe unter dem East River und Manhattan vor, um mit acht neuen Gleisen auch Long Island künftig an das Grand Central Terminal anzuschließen.
Stand: 02.02.2013
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