Nebeneingang zum Nokia-Werk in Bochum

Stichtag

15. Januar 2008 - Nokia verkündet das Aus für Bochum

Im Ruhrgebiet kommt ein Sturm auf. Als die Schließung der Handy-Fabrik am 15. Januar 2008 verkündet wird, demonstrieren in Bochum 15.000 Menschen. Plakate mit Sprüchen wie "Bochum wehrt sich" sind zu sehen, auf den Straßen liegen zertrümmerte Nokia-Handys. Umsonst: Im Mai 2008 stehen die Fließbänder still.

Mit diesem Tag werden in Deutschland keine Handys mehr gebaut

"Alle Schichten sind heute freigestellt. Die Kollegen kommen heute Morgen rein, geben ihre Papiere ab, ihre Karte, die Schlüssel. Die Schränke werden leer gemacht, die Schuhe werden abgegeben, die Kittel. Die Kollegen verabschieden sich dann untereinander, und wenn sie herauskommen, ist das der Weg in die Arbeitslosigkeit", sagt die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach damals. Mit diesem Tag werden in Deutschland keine Handys mehr gebaut. Zuvor hatten bereits zwei Mobilfunkhersteller ihre Produktion eingestellt: "Motorola" 2007 in Flensburg und "BenQ" 2006 in München und Kamp-Lintfort.

Rumänien: zehnfach niedrigere Löhne

Seit 1995 hatte "Nokia" knapp 90 Millionen Euro an Subventionen von Bund und Land kassiert – um Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Vor allem weil sich fast keine Zulieferer rund um das Bochumer Werk angesiedelt hatten, will der finnische Handyhersteller und damals unangefochtene Marktführer weiter nach Rumänien ziehen. Rudolf Hickel, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen und Mitgründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, nennt das Wander- oder Nomadenkapitalismus: "Der entscheidende Grund für den Umzug waren die in Rumänien erheblich niedrigeren Löhne – zehnfach niedriger im Vergleich zu Bochum."

Die Karawane zieht weiter

In Rumänien kassiert "Nokia" wieder Millionen an Subventionen und bezahlt nur einen Bruchteil der Löhne aus Bochumer Zeiten. Der Profit reicht offenbar nicht: Nach nur drei Jahren zieht das Unternehmen weiter nach Indien und hinterlässt auf dem Balkan wiederum 2.000 Arbeitslose. In Indien kassiert "Nokia" abermals Subventionen und halbiert die Löhne. Demnächst will der Handyhersteller angeblich nach Vietnam übersiedeln.

"Die Karawane zieht weiter, dorthin wo die Löhne am niedrigsten sind. Bei Nokia sieht man in einer Deutlichkeit – ich würde sogar sagen in einer hochgradigen Aggressivität –, dass Moral und Ethik überhaupt keine Rolle mehr spielen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Hickel. Die Menschen seien Kapital, reduziert auf einen Kostenfaktor.

Unternehmen kehren zurück

Allerdings scheint der Trend sich in den letzten Jahren umzukehren. Unternehmen wie zum Beispiel "Sennheiser" hätten ihre Produktion aus China wieder nach Deutschland, Irland und den USA geholt. "Sennheiser" kämpfte in China mit Produktpiraterie und schlechter Warenqualität. Und Rudolf Hickel ist sich sicher: Unternehmen ohne soziale Verantwortung haben auf Dauer keine Chance am Markt. "Einige Unternehmen haben erkannt, dass Löhne nicht alles sind. Auch Effizienz und Arbeitsmotivation spielen eine Rolle."

Stand: 15.01.2013

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